Die Entlassung aus der Untersuchungshaft ist kein Freispruch für Jörg Kachelmann. Über Schuld oder Unschuld wird in erster Instanz nur die 5. Große Strafkammer des Mannheimer Landgerichts entscheiden. Diese Kammer hatte im Juni die elf Seiten dicke Anklage des 36-jährigen Mannheimer Staatsanwalts Lars-Torben Oltrogge gegen ihn zugelassen und Anfang Juli die Aufhebung des Haftbefehls abgelehnt. Die drei Mannheimer Berufsrichter gingen von einem dringenden Tatverdacht aus.
Jörg Kachelmann atmet auf. Der Meteorologe wurde aus der Mannheimer Justizvollzugsanstalt entlassen - das Urteil über seine Schuld ist jedoch noch nicht gesprochen.
(Foto: ddp)Es gebe "keinen Anlass zu durchgreifenden Zweifeln" an der Glaubwürdigkeit der Aussage der ihn belastenden ehemaligen Geliebten, schrieben die Mannheimer bei der Haftprüfung am 1. Juli. Die Einlassungen Kachelmanns zu den Ereignissen in der Nacht zum 9. Februar 2010 seien "bei vorläufiger Betrachtung wenig plausibel". Seine Darstellung der Abläufe reiche jedenfalls nicht aus, um von einer Falschaussage des angeblichen Opfers auszugehen.
Auch ein Opfer kann ein Mensch voller Widersprüche sein
Ebenso wie die Karlsruher gingen auch die Mannheimer Richter auf falsche Angaben der Zeugin in dem Verfahren ein, kamen aber zu dem Schluss, sie habe die Aussagen nicht gemacht, um ihn stärker zu belasten, sondern um selbst glaubwürdiger zu wirken. Übersetzt heißt das: Auch das Opfer einer Tat kann ein Mensch voller Widersprüche sein, von dem nicht Lückenlosigkeit in jeder Hinsicht verlangt werden darf.
Das Mannheimer Gericht wurde mit Gutachten förmlich bombardiert. Mehr als ein Dutzend Expertisen liegen ihm mittlerweile vor. Je nach Standort des Betrachters handelt es sich um eine sehr ernst zu nehmende Bewertung oder um ein Gefälligkeitsgutachten. Die allermeisten Gutachten wurden von der Verteidigung in Auftrag gegeben, die bei Bedarf immer wieder nachrüstete.
Belastet wird Jörg Kachelmann vor allem durch den Heidelberger Traumatologen Professor Günter Seidler, der von der Staatsanwaltschaft Mannheim beauftragt wurde. Ihm lagen keine anderen Akten oder Vorgutachten vor, und er kam in seiner 42 Seiten dicken Expertise zu dem Schluss, dass die Hauptbelastungszeugin glaubwürdig sei. Es lägen jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die "behauptete Vergewaltigung nicht stattgefunden hat", schrieb er. Seit 24. April dieses Jahres therapiert Seidler das angebliche Opfer. In der Regel kommt die 37 Jahre alte Frau zweimal pro Woche in Seidlers Trauma-Ambulanz. Während der Sitzungen wirke sie manchmal abwesend und sei für Sekunden nicht erreichbar, sagt er. Wenn es um die für den Vergewaltigungsvorwurf entscheidenden Details gehe, sei sie "sehr aufgewühlt" und ringe buchstäblich nach Luft.