Justiz in Berlin:Folge mir, ich sitz' im Knast!

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Darf ein Bankräuber Youtube-Videos aus seiner Gefängniszelle posten? Eigentlich nicht. Ein Berliner Insasse tut es trotzdem - und das Gefängnis kann das nicht verhindern. Der deutsche Justizvollzug hat ein Handy-Problem.

Von Verena Mayer, Berlin

Ein Mann mit Basecap und Sportjacke erzählt auf Youtube aus seinem Leben. Wie er wohnt, was seine Kumpels machen, was ihn nervt. Ein ganz normaler Youtuber also, einer von vielen Tausend Menschen, die sich täglich irgendwo auf der Welt filmen und Mitschnitte davon auf ihren Kanal stellen, in der Hoffnung, dass das möglichst viele Leute liken und teilen. Und dennoch ist alles an dem Mann ungewöhnlich: Seine Videos kommen nämlich direkt aus einer Zelle der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel, dem größten Gefängnis Deutschlands.

Seit Wochen werden Videos von ihm online gestellt. Mal sitzt er vor einem vergitterten Fenster, mal vor einem gemusterten Wandbehang, immer hat er ein Palästinensertuch vor dem Mund, um nicht erkannt zu werden, wenn er Details aus dem Gefängnisalltag ausplaudert. Darüber, dass es mehrmals am Tag "Lebendkontrollen" gibt, bei denen überprüft wird, ob die Gefangenen in den Zellen noch leben. Dass Insassen, die sich regelkonform verhalten, arbeiten dürfen, und Leute, die andere verpfeifen, im Knastjargon "31er" genannt werden und nicht gerade beliebt sind. Wie viel Kraftsport er macht und worüber er sich mit einem Insassen unterhalten hat, der seine Frau getötet hat. Seither rätselt man in der Hauptstadt, wer der Gefangene ist und wie er es schafft, seine Handyvideos zu posten. Klar ist nur, dass die Leute das sehen wollen, der Kanal hat fast 80 000 Abonnenten.

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Der Mann, der sich selbst als den "ersten Knast-Youtuber der Welt" bezeichnet, ist nicht nur ein weiteres Beispiel dafür, dass man in den sozialen Medien sehr schnell sehr viel Aufmerksamkeit generieren kann. Sondern auch für ein Problem, mit dem der Justizvollzug in ganz Deutschland zu kämpfen hat: die Allgegenwart von Handys in Gefängnissen. Handys sind eigentlich streng verboten, aus guten Gründen: In der Untersuchungshaft besteht die Gefahr, dass Gefangene Einfluss auf Zeugen nehmen oder ihre Spuren verwischen. In der Strafhaft benutzen Mitglieder von kriminellen Banden die Handys gerne, um ihre Geschäfte draußen weiterzuführen. In den Gefängnissen gibt es daher Festnetztelefone, die man bei einem entsprechenden Verdacht überwachen lassen kann.

Gegen die Handys vorzugehen, ist schwierig. Zum einen, weil sie auf allen möglichen Wegen in die Zellen gelangen. Sie werden in Essenspaketen eingeschmuggelt, in der Kleidung, in Windeln von Babys. Sie werden über die Mauern geworfen, bei der Berliner Justizverwaltung weiß man sogar von Drohnen, die Dinge ins Gefängnis transportieren. Zum andern, weil die Handys schwer zu finden sind, wenn sie erst mal in den Haftanstalten sind. In Berlin werden daher Mobilfunkblocker eingesetzt, die den Empfang stören. Bislang allerdings nur in der Untersuchungshaft für Jugendliche, wo besonders viele Handys in Umlauf sind und die Geräte als Statussymbole gelten, die man für Tauschgeschäfte benutzt. Denn diese Technik sei nicht nur teuer, sondern man befinde sich auch in einem ständigen Wettrüsten gegen die Handyanbieter, sagt Sebastian Brux, Sprecher des Berliner Justizsenators. In anderen Gefängnissen werden Geräte eingesetzt, mit denen man Handys auf einzelnen Stationen orten kann. Bei terrorverdächtigen Islamisten etwa, die über die Handys Kontakt zu ihren Gefolgsleuten halten wollen. Andere Bundesländer versuchen es mit Störsendern, in einer JVA in Sachsen gibt es sogar einen eigenen Handyspürhund. Den Behörden zufolge wurden dadurch so viele Handys entdeckt wie in keinem anderen sächsischen Gefängnis.

Allein in Berlin wurden Gefangenen im vergangenen Jahr 1300 Handys abgenommen, neben Drogen gehören Handys zu den Dingen, die im Gefängnis leicht erhältlich und schwer zu kontrollieren sind. Der Berliner Gefängnis-Youtuber wurde dann schnell ausfindig gemacht. Er musste nicht nur das Handy abgeben, sondern auch Radio- und Fernsehgeräte aus seiner Zelle. Er wurde in einen anderen Trakt verlegt und darf bis auf Weiteres nicht an Freizeitaktivitäten teilnehmen. Trotzdem erscheinen weiterhin Videos, der Mann ließ sich wohl von anderen Insassen aufnehmen, die Filme wurden hinausgeschmuggelt und häppchenweise online gestellt, zuletzt wurde ein Audiomitschnitt veröffentlicht. "Macht euch keine Sorgen, Leute, die Show geht weiter," heißt es darin.

Inzwischen hat der Youtuber auch verraten, warum er im Gefängnis ist. Er sei ein Bankräuber aus Wolfsburg, der zu knapp zehn Jahren Haft verurteilt wurde, nachdem er 2012 in einer Berliner Bankfiliale eine Geisel genommen und über Stunden festgehalten hatte. Die Justizverwaltung will das nicht bestätigen. Nur so viel: Den Mann erwarten "empfindliche Disziplinarmaßnahmen". Wenn ein Gefangener ein so großes Mitteilungsbedürfnis habe, könne er vollkommen legal Briefe schreiben oder über Bekannte draußen Blogbeiträge veröffentlichen lassen.

© SZ vom 10.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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