Justiz:Verkehrsversuch gescheitert: Rückbau bis zum Frühjahr

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Gießens Bürgermeister Alexander Wright. (Foto: Thomas Frey/dpa/Archivbild)

Noch vor seinem offiziellen Start ist der umstrittene Gießener Verkehrsversuch wieder vom Tisch. Auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof erklärte das Projekt für rechtswidrig und tadelte die Stadt heftig. Der Rückbau dauert Monate.

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Gießen (dpa/lhe) - Nach der schweren Schlappe vor Gericht ist der umstrittene Gießener Verkehrsversuch gescheitert. In den kommenden Monaten muss die Stadt die aufwändigen Vorbereitungen wieder rückgängig machen. Der Gießener Bürgermeister Alexander Wright (Grüne) reagierte am Mittwoch „mit großem Bedauern“ auf die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, der den Verkehrsversuch zuvor als rechtswidrig eingestuft und damit eine Beschwerde der Stadt gegen eine erstinstanzliche Entscheidung verworfen hatte. Damit sei „faktisch der komplette Verkehrsversuch hinfällig“, erklärte Wright.

Die Stadt hatte mit der Maßnahme ursprünglich darauf gezielt, mehr Platz und Sicherheit für Fahrradfahrer und Fußgänger zu schaffen. Außerdem sollte das Projekt Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der Innenstadt sein. Geplant war, dass Autos in der mittelhessischen Stadt künftig nur noch die äußeren Fahrspuren des Anlagenrings um die Innenstadt in Einbahnrichtung nutzen können. Die bisherigen Innenspuren sollten dem Fahrrad- und Busverkehr vorbehalten sein.

Man werde den Rückbau der Einbahnstraßen-Verkehrsführung „schnellstmöglich und geordnet“ angehen, kündigte Wright am Mittwoch an. Dies könne aus Witterungsgründen, wegen der nötigen Beauftragung von Firmen sowie der Umprogrammierungen von Ampeln bis zum Frühjahr dauern. Es werde aber geprüft, ob der letzte Bauabschnitt, der aktuell im Umbau ist, umgehend wieder geöffnet werden könne. Außerdem wolle man die Zeit bis zum Abschluss im Frühjahr nutzen, „um im Dialog mit der Bürgerschaft andere Formen der Sicherheit für Radfahrende auf dem Anlagenring zu diskutieren und zu entwickeln“, erklärte Wright.

In seiner Begründung der Entscheidung sparte der für Verkehrsrecht zuständige 2. Senat des VGH nicht mit Kritik an der Stadt. Diese habe Mahnungen vor Gefahren für die Verkehrssicherheit „ignoriert“ und sich auch mit behördlichen Stellungnahmen nicht ausreichend auseinandergesetzt.

Die Anordnung eines Verkehrsversuchs erfordere laut Straßenverkehrsverordnung „die Feststellung einer Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs“ sowie besondere Umstände, die den Versuch „zwingend erforderlich machen“, so der VGH. Die Stadt habe beides nicht plausibel dargelegt. Mit Stellungnahmen des Polizeipräsidiums Mittelhessen sowie des Regierungspräsidiums Gießen habe sich die Stadt zudem nicht ausreichend auseinandergesetzt. Die Behörden hätten „erhebliche Zweifel“ an Rechtmäßigkeit und Sinn des Versuchs geäußert. Vor allem habe es Befürchtungen gegeben, dass durch die geplante Mitbenutzung der Fahrradstraße durch Busse neue Gefahren für die Verkehrssicherheit drohen. Diese seien „nicht ausgeräumt, sondern ignoriert“ worden, hieß es vom VGH.

Außerdem seien Alternativen wie eine geänderte Radverkehrsführung durch die Innenstadt nicht ausreichend geprüft worden. Da nur auf einzelnen Abschnitten des Gießener Anlagenrings erhöhte Unfallgefahren für Radfahrer bestünden, sei auch nicht erkennbar, weshalb der gesamte Anlagenrings in den Versuch einbezogen werden sollte.

Das Gießener Verwaltungsgericht hatte zuvor dem Eilantrag zweier Einwohner stattgegeben, die sich gegen die Neuregelung des Verkehrs wehrten. Dagegen hatte die Stadt Beschwerde vor dem VGH eingelegt und zunächst erklärt, die Vorarbeiten für das Projekt liefen weiter, auch weil man Chancen sehe, vor dem VGH Erfolg zu haben. Eigentlich hätten die Arbeiten demnächst abgeschlossen werden und der Verkehrsversuch Mitte bis Ende September offiziell anlaufen sollen. Die Kosten des Projekts waren mit rund 1,2 Millionen Euro beziffert worden.

Der Landesverband Hessen des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs kritisierte die VGH-Entscheidung. Diese zeige „wieder einmal: Das bestehende Straßenverkehrsrecht in Deutschland benachteiligt den Rad- und Fußverkehr und ordnet umweltfreundliche und aktive Mobilität systematisch dem fließenden KfZ-Verkehr unter“, erklärte ADFC-Landesgeschäftsführer Sofrony Riedmann. Eine Reform des Straßenverkehrsrechts, das „in seinen Grundzügen noch aus der Kaiserzeit stammt“, sei dringend notwendig.

© dpa-infocom, dpa:230830-99-15311/4

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