Italien:Besonders leichte Flucht aus Hochsicherheitsgefängnis

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Entwischte mehrmals aus dem Gefängnis: Giuseppe Mastini. (Foto: Archiv)

Giuseppe Mastini, "Johnny der Zigeuner", der berühmt-berüchtigte Kriminelle mit langem Strafregister, ist aus einem Gefängnis auf Sardinien entflohen. Mal wieder.

Von Oliver Meiler, Rom

Wieder hatten sie Giuseppe Mastini vertraut. Gegen besseres Wissen, vielleicht auch wider alle Vernunft. Aber schließlich hat jeder eine zweite, auch eine dritte Chance verdient, wenn er sich denn bessert und vorbildlich aufführt. Nun ist der berühmte und berüchtigte Kriminelle mit dem langen Strafregister und dem trüben Ruf, den die Medien in Italien nur "Johnny lo zingaro", also "Johnny der Zigeuner", nennen, weil er Sinti ist, erneut aus der Haft entkommen - zum siebten Mal schon. Wobei man sagen muss, dass ihm die Flucht aus dem Hochsicherheitsgefängnis von Sassari auf Sardinien auch besonders leicht gemacht wurde.

Mastini, Sohn von Schaustellern aus Bergamo, 60, brauchte keine Tunnel zu graben, keine Mauern zu übersteigen. Wegen guter Führung hatte ihm das zuständige Gericht wieder einen "Permesso premio" zugestanden, eine Freigangbewilligung: zehn Tage in einer Besserungsanstalt für Gefängnisinsassen der Salesianer, wo er in den vergangenen eineinhalb Jahren schon ein Dutzend Mal gewesen war. Er pflegte den Garten, zeigte sich von seiner besten Seite. Den Ordensoberen erzählte er, dass er, wenn er dann mal frei sein würde, auf Sardinien bleiben und einen Gemüseladen eröffnen werde. Der Plan war keine Fantasterei: Im nächsten Februar sollte das Gericht entscheiden, ob es ihm Halbfreiheit zugesteht. Nach mehr als dreißig Jahren Verwahrung. Mastini war 1989 wegen Mordes zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt worden.

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Er gilt als einer der brutalsten Verbrecher Italiens - und ist schon vier Mal aus der Haft geflohen. Nun konnten Beamte den 57-Jährigen in der Toskana stellen.

Eine romantische Wendung stimmte die Richter sanft

Im bewegten Rom der Siebziger- und Achtzigerjahre hatte er zu den gefürchtetsten Verbrechern gehört. Die Familie war in die Hauptstadt gezogen, da war er zehn. Ihre Kirmesstände stellten sie im Tiburtino auf, einem Vorstadtviertel. Der Junge hatte eine Schwäche für Autos, er fuhr schon früh damit herum. Vor allem aber stahl er Autos, das war sein Ding. Schon mit elf machte er bei einem bewaffneten Überfall mit. Er war 15, als er mit einem Freund einen Busfahrer der römischen Verkehrsbetriebe überfiel, sie stahlen ihm 10 000 Lire, etwa acht Euro, und eine Uhr. Dann lief etwas schief. Die Polizei fand die Leiche des Chauffeurs Tage später auf einem Feld vor den Toren der Stadt, zwei Kugeln im Rücken.

Mastini kam in eine Anstalt für jugendliche Straftäter. Dort lernte er Giuseppe "Pino" Pelosi kennen, den mutmaßlichen Mörder von Pier Paolo Pasolini, dem großen Dichter und Regisseur. Nun hieß es, Mastini sei selbst wohl auch am Mord an Pasolini beteiligt gewesen. Er stritt das immer ab, doch das Gerücht nährte die düstere Fama von "Johnny lo zingaro". Er galt fortan als brutal, als völlig rücksichtslos.

Eine Weile lang trat er mit seiner Freundin auf, einer jungen Studentin der Universität La Sapienza. Sie waren in jener Zeit so etwas wie die römische Ausgabe von Bonnie & Clyde, es umwehte sie ein morbides Faszinosum, ihre Namen standen ständig in den vermischten Meldungen der Zeitungen. Bei einer Verfolgungsjagd mit Schießerei kam dann einmal ein Polizist um, ein weiterer wurde verletzt. 1989 wurde Mastini verhaftet und verurteilt. Es begann die Zeit seiner Ausbrüche. Einmal sollte es ihm sogar gelingen, von der Gefängnisinsel Pianosa vor Livorno zu fliehen. Rein, raus, rein, raus. Dann war er lange am Stück drinnen.

2017 erhielt er seine erste Freigangbewilligung - und tauchte ab. Die Polizei suchte ihn mit einem Aufwand, den sie sonst nur für die Jagd nach Mafiabossen und Terroristen betreibt. Fast zwei Monate lang. Als man ihn dann bei Siena fasste, sagte er, er sei "aus Liebe" geflohen. Er eroberte nämlich seine Jugendliebe zurück, zu den Sinti gehörend wie er, mit 13 hatte er sie nach dem Ritual seiner Gemeinschaft geheiratet. Sie aber sollte ihr Leben mit einem anderen Mann verbringen. Diese romantische Wendung stimmte die Richter sanft. Und so gab es schon bald wieder Freigang, der vorläufig letzte war der dreizehnte seit 2019.

Von Mastini fehlt jede Spur

Diesmal durfte Mastini seine Frau mit zu den Salesianern nehmen, für intime Stunden, das gehörte zum Programm der Rehabilitierung. Bis Samstagmittag, 12 Uhr, dauerte die Auszeit. Als Mastini um fünf nach zwölf noch nicht zurück war, schlug das Gefängnis Alarm. Alle Polizeiwachen im Land wurden benachrichtigt, die Häfen, die Flughäfen. Eine flüchtige Verspätung? Unmöglich. Er hat sie wieder alle genarrt.

Seither fehlt jede Spur von Mastini. Seine Frau hat die Insel noch am selben Tag verlassen - aber er? Hat er sich etwa nach Korsika abgesetzt? Oder ist er, versteckt unter Touristen und im Schatten der Sorgen um Corona, mit einer Fähre aufs italienische Festland geflohen?

"Johnny lo zingaro" besteht übrigens darauf, dass er so gerufen wird. Als wäre der Spitzname eine Marke - und er eine Romanfigur, gefangen in seiner tragischen Geschichte.

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