Hollywood-Geschichte:Ein Tod mit Fragezeichen

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Der bedeutende Stummfilmproduzent und Regisseur Thomas H. Ince kam 1924 auf ungeklärte Weise ums Leben - auf der Yacht eines mächtigen Medientycoons.

Von Fritz Göttler

Mord auf der Millionärsyacht, das ist auch für das hektische junge Hollywood keine alltägliche Schlagzeile. Der Schauplatz der Tat im November 1924: die Yacht Oneida des Medien-Tycoons William Randolph Hearst, Besitzer von Tageszeitungen und einer Filmproduktion, das Opfer: Filmemacher Thomas Harper Ince, der Täter: vielleicht Hearst selbst? Es war ein trauriges Ende eines schönen Wochenendes, Hearst hatte Ince eingeladen, beim Segeln dessen 42. Geburtstag zu feiern. Dabei wollten sie eine mögliche Fusion ihrer Produktionsfirmen besprechen.

Hollywood war damals, was Luxus und Dekadenz, Exzesse und Skandale anging, das Pendant zur Renaissance der europäischen Fürstenhöfe. Kenneth Anger, selber ein lustvoll perverser Filmemacher, der in seiner Chronik "Hollywood Babylon" all die unzüchtigen, schlüpfrigen, dubiosen Fälle aus der Hollywood-Halbwelt auflistete, schreibt über den Tod von Ince tendenziös und böse wie immer: "Die Geburtstagsfeier auf hoher See soll viel Spaß gemacht haben - bis zu einem bestimmten Punkt. Von diesem Punkt an segelte die Oneida schnurstracks in eine Nebelwand widersprüchlicher Aussagen."

Er soll an Bord der Yacht so viel gegessen haben, dass es ihn gleich das Leben kostete

Auch Orson Welles wusste wohl Bescheid, hüllte sich aber in puncto Oneida in nebulöses Schweigen, als er seinen Film "Citizen Kane" drehte, der vom Leben und Treiben des Tycoons Hearst inspiriert war. Nur ein Dialogsatz blieb, als Andeutung, in dem der recherchierende Journalist erklärt bekommt: "Wenn Sie klug sind, wenden Sie sich an Raymond. Er ist der Butler. Sie werden eine Menge von ihm erfahren. Er weiß, wo all die Leichen vergraben sind ..."

"Movie Producer Shot on Hearst Yacht!" hatte die Los Angeles Times getitelt am Mittwochmorgen nach dem Wochenende in ihrer Morgenausgabe. In der Abendausgabe war die Schlagzeile dann schon wieder verschwunden. Die offizielle Todesursache: Herzversagen. Kommentar Kenneth Anger: "Die ,offizielle' Version, wie sie von der Hearst-Presse verbreitet wurde, war so einfach und klar wie möglich: Der arme Tom Ince stopfte sich mit der reichen Gastfreundschaft des Hauses Hearst so voll, dass er auf seiner Geburtstagsparty im Zeichen des Skorpions an akuter Magenverstimmung starb."

Der arme Thomas Ince war einer der wichtigsten Filmemacher der Zehnerjahre des 20. Jahrhunderts, der Zeit also, da sich an der Westküste in L. A. und Hollywood die Filmindustrie festsetzte und entwickelte. Das war eine Fluchtbewegung, man versuchte, dem Druck des superpotenten Thomas Edison zu entkommen, der Filmproduktion und -verleih monopolisieren wollte. Thomas Ince drehte selbst Hunderte one- und two-reelers, Filme mit einer oder zwei Filmrollen, die also zehn oder zwanzig Minuten dauerten, meistens Western oder Bürgerkriegsschlachten - sein großer Star war William S. Hart, dessen versteinertes Gesicht bis in die Fünfziger das Vorbild aller Westernhelden blieb -, aber auch Melodramen mit Mary Pickford, Blanche Sweet oder Florence Vidor. Er arbeitete für Carl Laemmle, den Universal-Chef, und D. W. Griffith, der später in der Filmgeschichte zur monolithischen Figur des frühen Hollywood wurde mit seinen Großwerken "The Birth of a Nation" oder "Intolerance".

Ince dagegen war der Mann, der die Filmproduktion in Hollywood neu ordnete und damit das amerikanische Studiosystem etablierte. In seinem Inceville hatte er Studios, Drehorte für Außenaufnahmen, Büros, Labors, Schneideräume erstmals konzentriert, und er verteilte die Arbeit an einem Film auf mehrere Leute und Teams. Von da an ging alles in Hollywood wie am Fließband.

Auf die Allmacht und Omnipräsenz des Produzenten legte Ince allerdings durchaus Wert - Buster Keaton hat sich darüber in seinem Film "The Play House" lustig gemacht, wo er alle Rollen selber spielte - jeden Musiker auf der Bühne und jeden Zuschauer, und auch als Ticketverkäufer verkaufte er sich selber eine Karte. Der Film war inspiriert, sagt Keaton, von dem Procedere des Thomas Ince: Thomas H. Ince presents ... Written by Thomas H. Ince. Directed by Thomas H. Ince. Edited by Thomas H. Ince. This is a Thomas H. Ince production.

1916 versuchte sich Ince noch einmal einer ambitionierten pazifistischen Produktion, "Civilization", ein Moralstück gegen den pickelhaubigen Krieg. Christus muss selbst auftauchen, um den Militaristen die Gräuel des Kriegs zu zeigen, immer wieder sieht man herrenlos gewordene Hunde an ihren toten Herrchen schnüffeln. Der Film war ein Misserfolg, denn auch in Amerika wurde nun doch für eine Beteiligung am Weltkrieg argumentiert.

Womöglich hätte Thomas Ince keine Zukunft mehr gehabt in einem Hollywood der verfeinerten sophistication. Die Todesursache Herzstillstand ist inzwischen wissenschaftlich ziemlich untermauert, dennoch würden wir weiterhin ein paar Prozent Wahrscheinlichkeit für die fantastische Version reservieren, die Kenneth Anger entwickelte. Ihr zufolge habe Hearst mitgekriegt, dass der lüsterne Charlie Chaplin, ebenfalls Gast auf der Yacht, sich Hearsts Maitresse Marion Davies genähert habe, er habe also seinen diamantenbesetzten Revolver gezogen, der zur Grundausstattung der Oneida gehörte und mit dem er, zur Verblüffung seiner Gäste, ab und zu eine Möwe vom Himmel holte - und geschossen. Statt Chaplin habe er allerdings leider Thomas Ince getroffen. Eine abenteuerliche Geschichte, ganz in der Tradition großer Hollywoodmelodramen. Peter Bogdanovich, der ein guter und kundiger Freund von Orson Welles war, hat sie in seinem Film "The Cat's Meow" im Jahr 2002 genüsslich erzählt.

© SZ vom 13.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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