Nordhessen:Zertrümmerte Fröhlichkeit beim Rosenmontagszug

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  • Der Mann, der sein Auto offenbar absichtlich in den Rosenmontagszug in Volkmarsen gesteuert hat, soll selbst aus der nordhessischen Kleinstadt stammen.
  • Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt gegen den 29-Jährigen wegen eines versuchten Tötungsdelikts, inzwischen wurde eine zweite Festnahme gemeldet.
  • Möglicherweise hat er, heißt es zusätzlich aus Sicherheitskreisen, nicht allein gehandelt.

Von Constanze von Bullion, Berlin, und Matthias Drobinski, Frankfurt

Es sollte ein fröhlicher Rosenmontagszug werden, wie in so vielen Städten und Dörfern in Deutschland an diesem Tag. Doch um 14.45 Uhr schlägt im 7000-Einwohner-Städtchen Volkmarsen im nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg die ausgelassene Fröhlichkeit der vielleicht 1500 Besucherinnen und Besucher um in Angst, Entsetzen, Fassungslosigkeit. Ein silberfarbener Mercedes Kombi, so berichten Augenzeugen, umfährt die Absperrungen, gibt Gas, rast dorthin, wo am örtlichen Rewe-Markt die verkleideten Menschen am dichtesten stehen, auch viele Kinder.

Nach vielleicht 30 Metern kommt der Wagen zum Stehen, da liegen aber schon viele Verletzte auf der Straße, liegen dort die Trümmer zerstörter Fastnachtsfröhlichkeit. Von mindestens 30 Verletzten werden später die Sicherheitskreise sprechen, darunter seien sieben Schwerverletzte und ein Mensch, der an diesem Montagabend in Lebensgefahr schwebt. Erste Fotos vom Unfallort zeigen den Mercedes mit zerbeulter Front und offenen Türen, zeigen Rettungswagen, Sanitäter, Feuerwehrleute. Und Menschen vor idyllischen Fachwerkhäusern, als Clowns verkleidet und in närrischen Uniformen, die den Krankenwagen den Weg weisen oder einfach nur herumstehen und nicht wissen wohin mit sich; eine Gruppe Kinder, eng aneinandergedrückt.

Eineinhalb Stunden lang vernehmen Polizisten den Mann

Warum tut jemand so etwas? Warum fährt da jemand einfach in eine Menge fröhlich feiernder Menschen? Erste Vermutung geistern durch die sozialen Medien. Es tritt genau das ein, was die nordhessische Polizei mit ihrem geradezu flehentlichen Appell verhindern wollte, als sie bat, sich alle Spekulationen zu verkneifen und bitte keine Fotos oder Videos von Tatgeschehen zu verbreiten, sondern das Material sofort der Polizei zur Verfügung zu stellen.

Eineinhalb Stunden vernehmen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung Beamte den Mann, der das Auto in die Menschenmenge gelenkt hat und der sich dabei selber Verletzungen zugezogen hat - zuvor hat die Polizei ihn, einem Bericht der Bild-Zeitung zufolge, vor den wütenden Menschen schützen müssen, die mit erhobenen Fäusten auf ihn zustürmten. Nach dieser Vernehmung ist klar: Die These vom Anschlag ist nicht zu halten.

Doch der 29-jährige Deutsche, der, so das hessische Innenministerium, in der Region um Volkmarsen wohnt, hat das Auto mit voller Absicht auf die Menschen zu gesteuert. Möglicherweise hat er auch nicht allein gehandelt; möglicherweise folgte eine zweite Person dem Wagen, als er die Absperrung durchbrach - und filmte das Auto, als es in die Menge raste. Um im Netz groß herauszukommen? Dies könne nicht ausgeschlossen werden, sei aber auch noch nicht abschließend belegt, hieß es am Montagabend in Sicherheitskreisen.

Am Abend wird bekannt, dass es in Volkmarsen eine zweite Festnahme gegeben hat. Es sei noch nicht klar, ob der Festgenommene als Tatverdächtiger gelte oder ein Zeuge sei, sagt Frankfurts Polizeipräsident Gerhard Bereswill. Als sicher gilt hingegen, dass der Tatverdächtige Alkohol oder Drogen konsumiert hat. Womöglich habe er vor der Tat beides zu sich genommen, heißt es. Hinweise auf eine politisch motivierte Tat gebe es dagegen nicht. Der Verdächtige soll den Behörden bisher nicht als Extremist aufgefallen sein.

Inzwischen ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt gegen den Mann wegen eines versuchten Tötungsdelikts. Zu einem möglichen Motiv sagt der Behördensprecher Alexander Badle: "Wir ermitteln in alle Richtungen." Die Frage, warum der 29-Jährige in den Rosenmontagszug in seiner Heimatregion fuhr, bleibt also zumindest öffentlich an diesem Abend unbeantwortet - es bleiben nur der Schreck der Betroffenen und die Betroffenheit der anderen.

Die Polizei warnte vor dem Verbreiten angeblicher Fotos des Täters. "Teilen Sie keine Falschnachrichten!", schrieb die Polizei Nordhessen am späten Montagabend bei Twitter. Bei der auf im Netz kursierenden Fotos abgebildeten Person handele "es sich definitiv nicht um den Täter".

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sagt am Abend: "Ich bin schockiert über diese schlimme Tat, durch die viele unschuldige Menschen zum Teil schwer verletzt worden sind." Die Hintergründe seien bisher unklar, deshalb bitte er, "nicht über mögliche Motive zu spekulieren": "Dies ist die Stunde der Ermittler." Der Mainzer katholische Bischof Peter Kohlgraf, der, gerade vom Rosenmontagszug in Mainz gekommen, von der Tat erfahren hat, nennt sie "schrecklich" und bittet "um ein Gebet für die Verletzten."

Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zeigen sich schockiert. Am Nachmittag werden in Hessen alle Rosenmontagszüge abgebrochen - zu unklar erscheint den Behörden die Sicherheitslage; es sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, erklärt das Polizeipräsidium Frankfurt zur Beruhigung. In Fulda sperren die Sicherheitskräfte die Zufahrten rund um das Kneipenviertel ab. Es gilt als Treff für Feiernde nach dem Rosenmontagszug. Wegen Volkmarsen sei man besonders sensibilisiert, sagt ein Polizeisprecher. Ob die für diesen Dienstag geplanten Veranstaltungen im Straßenkarneval stattfinden werden, ist am Abend unklar. Doch die Feierlaune in Hessen hat in dieser Fastnachtssaison ohnehin arg gelitten.

© SZ vom 25.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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