Gastronomie-Öffnung:"Eine bunte Verordnungswelt"

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Ingrid Hartges, 60, Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbandes Dehoga. (Foto: Dehoga Bundesverband/Svea Pietschmann)

Sechs Personen am Tisch oder zwei, Reservierungspflicht ja oder nein, nur Service am Tisch oder auch Selbstbedienung: Die Chefin des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga sieht die diversen Auflagen als große Herausforderung für die Betriebe.

Interview von Max Sprick

Fast zwei Monate lang durften Restaurants und Cafés in der Corona-Krise nur zur Abholung und Lieferung öffnen. Vor einer Woche dann verkündete Angela Merkel die schrittweise Öffnung der Gastronomie auch wieder für den Publikumsverkehr - unter strengen Auflagen, die sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden. Seitdem laufen die Vorbereitungen. Ingrid Hartges vertritt als Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) die Interessen der Hotellerie und Gastronomie. Sie weiß, was auf die Branche nun zukommt.

SZ: Frau Hartges, die Gastronomie darf wieder hochfahren, muss aber unterschiedliche Schutz- und Hygienemaßnahmen befolgen. Kennen Sie alle?

Ingrid Hartges: Ich habe das ganze letzte Wochenende damit verbracht, alle bisherigen Verordnungen zu lesen. Hinzu kommen noch Auslegungsregeln und Hygienekonzepte der Länder. Kurzum: eine bunte Verordnungswelt mit vielen "Schmankerln". Aber dies ist das Ergebnis des Föderalismus und der Zuständigkeit der Landesregierungen.

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Einige grundsätzlich geltende Regeln gibt es aber, oder?

Was einheitlich ist, ist das Abstandsgebot von 1,50 Metern und die Kontaktregelung: An einem Tisch dürfen Personen aus maximal zwei unterschiedlichen Haushalten sitzen. Aber wie viele Personen aus diesen Haushalten, da wird dann schon unterschieden. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel dürfen es sechs sein. Andere Länder haben gar keine Zahlen festgelegt. In einigen Ländern besteht eine Gästeregistrierungs- und Reservierungspflicht, in anderen nicht. Mancherorts darf nur Service am Tisch stattfinden, keine Selbstbedienung. Das ist zum Beispiel einfach nicht praktikabel in Autobahnraststätten. Im Supermarkt gibt es auch Schlangenbildung und die Menschen halten sich ans Abstandsgebot. Genau so ließe sich dieses Konzept doch auch in Raststätten oder in Biergärten umsetzen. Sie sehen, die Betriebe stehen vor enormen Herausforderungen, all diese Regelungen nun verantwortlich umzusetzen.

Das Beispiel Biergarten erscheint ja schon kurios: Wie sollen Abstands- und Kontaktregeln auf Bierbänken umgesetzt werden?

Im Biergarten ist ja gängige Praxis, dass sich die Menschen ihr Essen und Trinken an Ausgabestationen selbst holen. Da muss organisiert werden, dass wie im Handel Abstände eingehalten werden und dass Zugang und Ausgang getrennt werden, um Anstehende nicht mit Rückläufern zu konfrontieren. Und auf der Bierbank können eben entweder nur zwei Haushalte sitzen, oder jeweils zwei an den Enden mit 1,50 Metern Abstand. Es wird dann nötig sein, mit größerem Aufwand den Einlass zum Biergarten zu kontrollieren, damit es nicht zu Überfüllungen kommt. Wichtig ist, dass die Gäste sich auch an die Abstandsgebote halten.

Wie blicken die Gastronomen dieser Herausforderung entgegen?

Da ist die Bandbreite sehr groß. Es gibt Betriebe, die haben schon im Vorfeld konkrete Sicherheits- und Hygienekonzepte erarbeitet, die sie nur noch im Detail anpassen müssen. Viele Betriebe freuen sich, dass sie wieder öffnen dürfen, obwohl sie die Gewissheit haben, dass ihre Umsätze einbrechen werden. Wir rechnen in den ersten Wochen mit 50 bis 70 Prozent weniger Einnahmen. Und da gibt es dann natürlich auch Betriebe, die sagen, es lohnt sich für sie nicht, wieder zu öffnen. Als Dehoga stellen wir der Branche praktische Umsetzungshilfen, z. B. Checklisten, Piktogramme und Muster für die Mitarbeiterschulung nach den Corona-Regeln zur Verfügung.

Schon zu Anfang der Diskussion über die Lockerungen hatten Sie gesagt, für die Akzeptanz bei Gästen wie Gastgebern werde es elementar wichtig, dass die Regelungen klar und praxistauglich sind. Und nun herrscht eine gewisse Konfusion.

Klar ist, die Länder haben entschieden, dass Restaurants und Hotels jetzt im Mai zu unterschiedlichen Terminen öffnen dürfen. Die Zeitpunkte sind dem unterschiedlichen jeweiligen Infektionsgeschehen in dem Bundesland geschuldet. Was wäre die Alternative gewesen? Man kann ja jetzt auch nicht sagen, die Branche bleibt so lange zu, bis ein Impfstoff oder Medikamente gefunden werden. Je verantwortlicher wir alle, Gäste und Gastgeber, miteinander umgehen, je eher schaffen wir es, diese Öffnungen dauerhaft zu sichern. Wir können nur mit viel Kraft, guter Energie und maximaler Verantwortung Corona klein halten - und uns entsprechend verhalten, bis das Virus besiegt ist.

Sie sehen der Gastronomie-Öffnung also trotz der Regel-Konfussion optimistisch entgegen?

Ich rede lieber von "Zuversicht" als "Optimismus". Und ich will ja nicht jammern, es ist so, wie es ist. Das Wiederhochfahren wird in den kommenden Tagen eine riesige Herausforderung für die Gastronomie-Betriebe. Wichtig ist, dass die Betriebe mit ihren Mitarbeitern wie auch die Gäste die Corona-Schutzmaßnahmen einhalten. Im Dialog zwischen Landesregierungen und den Dehoga-Landesverbänden werden sicherlich die noch offenen Fragen und Probleme in den nächsten Tagen geklärt.

Gleichzeitig dürfte es Menschen geben, die sagen, sie wollen unter diesen Bestimmungen gar nicht ins Restaurant gehen.

Ja, das mag so sein. Ich kenne aber auch viele Menschen, die den Besuch von Biergärten, Restaurants und Cafés herbeisehnen.

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