Schläge auf den Hintern haben im Französischen einen eigenen Begriff, "la fessée". Wenn man auf Deutsch ein gleichbedeutendes Wort dafür erfinden müsste, wäre es wohl am ehesten "Hinterung", die "fesses" bezeichnen das menschliche Gesäß. So knapp und effizient die Franzosen bei der Bezeichnung dieser Gewalt sind, so lax sind sie bislang bei der Ahndung. Es gibt bislang kein Gesetz, das Eltern die "fessée" ihrer Kinder verbietet.
2010 scheiterte ein Gesetzesvorschlag, der Kinder besser schützen sollte. 2016 wurde schließlich ein Gesetz angenommen, das Gewalt in der Erziehung verbietet. Doch 2017 lehnte der Verfassungsrat den entsprechenden Paragrafen aus formalen Gründen ab. Am Donnerstag wagte nun die regierende Mehrheit aus Macrons Partei La République en Marche und ihrem Koalitionspartner MoDem einen neuen Vorstoß. In der Nationalversammlung begann in einer abendlichen Sitzung die Diskussion über einen Gesetzestext, der festlegt, dass "Kinder ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung" haben. Spätabends wurde das Gesetz beschlossen.
Frankreich ist eines der letzen europäischen Länder, das Eltern das Prügeln nicht verbietet. 2015 wurde Paris deshalb vom Europarat gerügt. Es ist zwar verboten, Gewalt gegen Minderjährige anzuwenden. Jedoch gilt gleichzeitig das elterliche "Recht auf Korrektur", das Ohrfeigen und "fessée" einschließt. Angesichts der Debatte um das neue Gesetz zeigt sich erneut, dass viele französische Eltern Schläge auf den Hintern oder ins Gesicht eher für eine individuelle Erziehungsentscheidung zu halten scheinen als für Gewalt gegenüber Wehrlosen. Verschiedene Umfragen der vergangenen Jahre kommen alle auf denselben Wert: 70 Prozent der Franzosen sind gegen ein Verbot der elterlichen Schläge.
Ein Schlag auf den Hintern? Geht in Ordnung, solange "er mit Liebe ausgeführt wird"
Zwar finden sich auch in Frankreich keine Experten mehr, die irgendeinen pädagogischen oder entwicklungspsychologischen Nutzen in Ohrfeigen für Kinder erkennen, doch das Wohl der Kinder steht ohnehin selten im Zentrum der aktuell geführten Debatte. Es geht um das Befinden der Eltern. Die Argumente der Gegner eines Anti-Prügel-Gesetzes lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Staat dürfe sich nicht in private Familienangelegenheiten einmischen. Man müsse nicht jeden Schlag gleich eine Ohrfeige nennen, es gäbe auch "leichte Schläge". Das neue Gesetz könne Kinder dazu ermutigen, sich gegen ihre Eltern aufzulehnen.
Innerhalb des politischen Spektrums werden diese Ideen vor allen Dingen im konservativen (Republikaner) und im rechtsextremen Lager (Rassemblement National) vertreten. Der Republikaner Eric Ciotto nannte die aktuelle Debatte "albern" und "pseudomoralisch". Der Vize-Chef des Rassemblement National, Nicolas Bay, sagte am Donnerstag im Frühstücksfernsehen, ein Schlag auf den Hintern sei in Ordnung, "solange er mit Liebe ausgeführt" werde. Man dürfe die "erzieherische Tracht Prügel" nicht mit "physischer Gewalt gegen Kinder" vermengen. Erstere erlaube es, den Kindern "Grenzen zu zeigen". Doch auch Sozialdemokraten sorgen sich um Eltern, die ihr Recht auf Ohrfeigen einfordern. 2015, nach der Abmahnung durch den Europarat, sagte die sozialistische Staatssekretärin für Familie, Laurence Rossignol, sie sei dagegen, dass man Kinder schlage. Und fügte umgehend ein Aber an: Wenn Eltern sich "eine körperlichen Züchtigung haben durchgehen lassen", müsse man den Eltern beibringen, wie sie sich besser verhalten, statt ihnen "mit dem Richter zu drohen".
Auch das neue Gesetz sieht keine Strafen für schlagende Eltern vor. Es soll dabei helfen, ein Umdenken in der Erziehung herbeizuführen. Der Kinderpsychiater Stéphane Clerget beschreibt, wie die "fessée" von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die fessée sei Teil der Kindheitserinnerungen, auch wenn sie "einen bitteren Geschmack" habe. "Mein Großvater hat meinen Vater versohlt, mein Vater mich und ich nun meinen Sohn", fasst Clerget das Denkmuster zusammen.
Schweden war das erste europäische Land, das Gewalt in der Erziehung verbot
Französische Ohrfeigen- und Prügel-Gegner, die beweisen wollen, dass das neue Gesetz nicht überforderte Eltern stigmatisiert, sondern Kindern helfen soll, führen das Beispiel Schwedens an. Dort wurde 1979 Gewalt in der Erziehung verboten, obwohl die Mehrheit der Schweden dagegen war. Schweden war das erste europäische Land, das diesen Schritt wagte. In den folgenden Jahren ging dort die Gewalt gegenüber Kindern deutlich zurück.
In Deutschland gilt das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung seit 2000. Danach fand ein Umdenken statt. 1996 sagten 82 Prozent der deutschen Eltern, sie würden ihr Kind mit Schlägen bestrafen, 2001 sank diese Zahl auf 76 Prozent. 2016 fand laut einer Studie des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte jeder fünfte Deutsche eine "leichte Ohrfeige" in Ordnung.