Fixierung:Psychiatrie darf keine Dunkelkammer des Rechts sein

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Die Tür eines Doppelzimmers in einer Klinik für Forensische Psychiatrie (Foto: picture alliance / dpa)

Die Fesselung eines Häftlings oder eines Patienten darf es nur ausnahmsweise geben, als Ultima Ratio. Auch die Psychiatrie ist ein Ort im Rechtsstaat.

Kommentar von Heribert Prantl

Niemand muss seine Grundrechte ab- und aufgeben, wenn er ins Gefängnis oder in die Psychiatrie kommt. Gefängnis und Psychiatrie sind Orte im Rechtsstaat, nicht außerhalb des Rechtsstaats. Es sind dies zwar Orte der Freiheitsentziehung, aber keine Entrechtungsanlagen. Das heißt: Der Mensch muss Subjekt bleiben, auch in der Psychiatrie, auch im Gefängnis; er darf nicht zum Objekt werden.

Die Fesselung eines Häftlings oder eines Patienten in der Psychiatrie darf es deshalb nur ausnahmsweise geben, als Ultima Ratio, als allerletztes Mittel - bei extremer Selbst- oder Fremdgefährdung, also dann, wenn die Gefahr besteht, dass etwa ein Umsichschlagender sich oder andere schwer verletzt oder tötet.

Eine Fesselung, die über eine sehr kurze Zeit hinausgeht, darf es im Rechtsstaat nur mit Zustimmung eines Richters geben. Darüber kann nicht einfach ein Anstaltsleiter und ein Arzt entscheiden. Warum? Weil die Fesselung - man spricht von Fixierung, die oft nicht nur Arme, Hände und Beine, sondern auch noch Brust und Kopf betrifft - die extremste Form der Freiheitsbeschränkung ist, die man sich vorstellen kann.

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Von Anna Fischhaber

Über Freiheitsbeschränkungen entscheidet im Rechtsstaat der Richter. Und es ist nicht so, dass die Freiheitsbeschränkung, die Gefängnis und Psychiatrie mit sich bringen, quasi automatisch noch härtere weitere Formen der Freiheitsbeschränkung einschließen. Wenn die Freiheit durch Fesselung, die stunden- oder gar tagelang dauert, nicht nur eingeschränkt, sondern komplett und vollständig und schmerzhaft aufgehoben wird, muss ein Richter darüber befinden, weil dies das Härteste, das Extremste ist, was ein Staat seinem Bürger antun kann.

Juristen reden, wenn es um Haft geht, von einem "Sonderrechtsverhältnis", früher nannten sie es "besonderes Gewaltverhältnis". Zumindest diesen gewalttätigen Sprachgebrauch hat das Bundesverfassungsgericht vor 46 Jahren beendet. Seitdem gibt es das "besondere Gewaltverhältnis" nicht mehr. Seit dem Strafgefangenen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1972 stehen auch Personen in Sonderrechtsverhältnissen die Grundrechte zu. Die Grundrechte können eingeschränkt werden, allerdings nur so weit, wie der Zweck des betreffenden Sonderrechtsverhältnisses dieses erfordert. Besondere Gewaltverhältnisse im eigentlichen Sinn gibt es also nicht mehr.

In Gefängnissen gibt es für gefährliche Extremsituationen die "besonders gesicherten Hafträume", genannt bgH. Hochgefährdete und hochgefährliche Gefangene, auch Untersuchungsgefangene, müssen dort unter Dauerbewachung untergebracht werden. Das erfordert einen großen Personalaufwand. Im Oktober 2016 hat die Justiz in Leipzig einen schweren Fehler gemacht, als sie Dschaber al-Bakr, der des IS-Terrorismus verdächtig war, nicht in einem "bgH" unterbrachte; der Mann brachte sich in seiner normalen Zelle um.

Die Regeln im Strafvollzug sind, auch für die Fesselung und für sonstige Formen extremer Sicherungsmaßnahmen, klarer und rechtsstaatlicher als die in der Psychiatrie. In der Psychiatrie geht viel, was in einem Gefängnis nicht geht. Das ist eine Erkenntnis, die der Fall des Gustl Mollath erbracht hat. Die Psychiatrie braucht also eine Ver-Rechtsstaatlichung. Die tagelange Fesselung in der Psychiatrie, über die jetzt das Bundesverfassungsgericht verhandelt, bestätigt diese Erkenntnis. Die Psychiatrie darf nicht die Dunkelkammer des Rechts sein oder bleiben.

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