Um den Hals des Engels hängt ein Schokoladenpenis, er weist Bissspuren auf. Olivia Jones findet das richtig klasse. Hamburgs bekannteste Drag-Queen lacht, dröhnend und dreckig. Sie trägt einen Dalmatiner-Mantel und so viel rotes Glitzerband um Hals und Kopf, dass es für einen ganzen Christbaum reichen würde. "Ich wünsche euch eine wunderbar geile und erotische Weihnacht'", röhrt Jones. Willkommen auf dem Weihnachtsmarkt in St. Pauli.
"Santa Pauli" heißt die Attraktion auf der Hamburger Reeperbahn, die bis zum 23. Dezember jeden Tag geöffnet hat. Was hier geboten wird, wäre in süddeutschen Großstädten wohl undenkbar: Mitten in St. Paulis Rotlichtviertel werden statt Bienenwachskerzen und Wollmützen Dildos und Vibratoren verkauft. Weihnachtliche Blaskapellen sucht man vergebens, dafür finden in den Abendstunden Striptease-Shows statt.
Der Engel mit dem Schokoladenpenis heißt Eve. Eve Champagne, mit vollem Namen. Sie ist Burlesque-Tänzerin und kaum bekleidet. Ihre Brustwarzen sind mit herzförmigen Aufklebern bedeckt. "Schön, dass es in diesem Jahr nicht so kalt ist", sagt Eve bei der offiziellen Weihnachtsmarkteröffnung. Dann schnappt sie sich zwei Glühweintassen und wärmt damit für die Fernsehkameras ihre nackten Brüste. "Mäuschen" und "Hopsy" heißen die beiden, lässt sie wissen.
Anschließend wird gesungen, auch Olivia Jones stimmt mit ein: "Ihr Stöhnerlein kommet."
"Eve, läute mit den Glocken"
Ist das alles nun eine Sensation? Auf St. Pauli nicht wirklich. In keinem Stadtbezirk einer deutschen Großstadt wird so offen mit Erotik kokettiert, gehört Sexualität zum öffentlichen Erscheinungsbild. Prostituierte dürfen auf offener Straße um Freier werben, sogar direkt gegenüber der Polizei. Dem Geschäft wird damit das Verbotene genommen, kriminelle Auswüchse sollen besser kontrolliert werden können. Und so stört sich auch niemand daran, dass hier Weihnachten offen in Verbindung mit Erotik gebracht wird.
"Eve, läute mit den Glocken", gibt Olivia Jones Anweisung. Eve stellt die Glühweintassen wieder auf den Tisch und schüttelt artig ihre Brüste. Klingeling. Ein bisschen doof ist das schon, aber Klamauk gehört dazu. Das Publikum johlt.
Vor sieben Jahren hat Geschäftsführer Jochen Bohnsack, 38, den erotischen Weihnachtsmarkt zum ersten Mal aufgebaut. Zwischenzeitlich stand das Projekt vor dem Aus, doch mittlerweile ist "Santa Pauli" eine Institution. Mit etwa 40 Buden ist der Markt in diesem Jahr so groß wie nie. Sogar die Jungs vom FC St. Pauli verkaufen hier ihre Fanartikel.
Andere Hamburger Weihnachtsmärkte, etwa der große vor dem Rathaus, sind hoffnungslos überfüllt. Viele Leute kommen deshalb lieber nach St. Pauli auf den Spielbudenplatz. Besucherzahlen hat Bohnsack nicht parat. 20 Prozent mehr als im Jahr zuvor, schätzt der Veranstalter, an einem Adventswochenende dürften es Tausende sein. Der Glühwein kostet drei Euro, mit Schuss ein wenig mehr. So wie in anderen Großstädten auch.