Enzyklika von Franziskus und Benedikt XVI.:Papst mit Plan

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In seiner Enzyklika der Kirchengeschichte verhaftet und dennoch ein Erneuerer: Papst Franziskus. (Foto: REUTERS)

Dokument einer Kirche im Übergang: In ihrer gemeinsamen Enzyklika machen Papst Franziskus und sein Vorgänger Benedikt XVI. klar, dass Glaube für Gerechtigkeit streiten muss. An Sakramenten und Hierarchie halten sie jedoch fest; Frauen und Laien kommen nicht vor. Trotzdem ist Franziskus in manchem ein Revolutionär.

Ein Kommentar von Matthias Drobinski

Irgendwas glaubt jeder, der sich Gedanken übers Leben macht: dass es Gott gibt oder nicht; dass mit dem Tod alles aus ist oder Himmel und Hölle warten; dass es eine Wirklichkeit außerhalb des Fassbaren gibt oder die Welt aus ausleuchtbaren Räumen besteht.

Die Menschen fragen nach Sinn, Grund und Ziel ihres Lebens, ob am Sonntagmorgen in der Kirche oder am Samstagabend nach dem dritten Bier. Sie tun das umso drängender, je mehr ihnen die alten Sicherheiten und Antworten verloren gegangen sind: Gott, so es dich gibt, zeig mir den Weg, falls du ihn kennst. Wovon die Menschen sich gehalten und wozu sie sich aufgerufen sehen, entscheidet auch darüber, was sie tun oder nicht; der Glaube ist so sehr tiefstes Gefühl wie politische Option.

So gibt es alle guten Gründe, dass das erste Lehrschreiben des neuen Papstes Franziskus übers "Licht des Glaubens" ("Lumen fidei") geht; als Abschluss einer Trilogie von Enzykliken über die Liebe, die Hoffnung und nun eben den Glauben. Der Text ist weitgehend geschrieben vom zurückgetretenen Papst Benedikt XVI., beendet hat ihn Franziskus.

Die Enzyklika ist mehr als ein abstraktes lehramtliches Schreiben. Sie ist das Dokument einer Kirche im Übergang; einer Kirche, die nach den Missbrauchs- und Finanzskandalen um einen Neuanfang ringt - und in der ein einzelner Mann, der Papst, in knapp vier Monaten mehr verändert hat, als vielen bewusst ist.

"Lumen fidei" erscheint beim Lesen als spannender, aber doch eigenartig unvollendeter Text. Es sei ein Schreiben "der vier Hände", hat Franziskus vor ein paar Tagen scherzhaft gesagt. Doch, um im Klavierspielerbild zu bleiben: Es sind nur drei Hände am Werk. Der erfahrene Pianist Joseph Ratzinger hat Bass und Melodie übernommen, Jorge Mario Bergoglio spielt die Oberstimme dazu, deren Töne vor allem am Ende hörbar werden.

Es sind die Themen des Gelehrtenpapstes Benedikt, die hier noch einmal vermächtnishaft aufscheinen. Zum letzten Mal erhebt der Emeritus die Stimme: Der Glaube lässt den Menschen ganz Mensch sein. Er ist ein Geschenk an die Moderne, die an der Begrenztheit ihrer vielen Wahrheiten zu verzweifeln droht. Von daher ist es in den Augen der päpstlichen Doppelautoren vernünftig zu glauben: Das Bewusstsein, dass es eine Wahrheit außerhalb dieser Welt gibt, bewahrt davor, dass die Menschen Macht, Geld und sich selbst absolut setzen oder totalitären Ideologien nachlaufen.

Der Ton, in dem die Enzyklika das sagt, ist werbend; der Pessimismus gegenüber der Welt, der Benedikt eigen war, bleibt milde. Zu glauben bedeutet Suche und Unruhe und Wagnis - und nicht, eine religiöse Lebensversicherung abzuschließen: Auch das wissen die Autoren, so wie sie klarmachen, dass dieser Glaube für Gerechtigkeit und Frieden streiten muss. Davon können sich auch Nicht-Katholiken und Nicht-Christen angesprochen fühlen, nicht aber von dem bruchlosen Kirchenbild, das die Enzyklika propagiert: Hüterin der Wahrheit sei letztlich die katholische Kirche in ihren Sakramenten und in ihrer Hierarchie; Laien oder gar Frauen kommen nicht vor. Die Wahrheit kann nur in der Liebe erkannt werden, sagt die Enzyklika - doch hier erscheint die Wahrheit als reine In-Sich-Logik.

So stehen im ersten Lehrschreiben, das die Unterschrift von Papst Franziskus trägt, das Werbende und Trennende nebeneinander, ebenso das Weite und das Enggeführte. Es wäre müßig herauszudeuten, ob nun Franziskus für die freundlichen Teile verantwortlich ist und Benedikt fürs Trennende; das dürfte auch gar nicht so klar zu unterscheiden sein.

Franziskus hat sich jedenfalls den ganzen Text zu eigen gemacht, er zeigt, dass er sich theologisch in der Kontinuität Benedikts sieht. Er wird nicht umstürzen, was seine Vorgänger gelehrt haben; die am Freitag verkündete Heiligsprechung von Papst Johannes Paul II. unterstreicht das. Jorge Mario Bergoglio sieht sich als Teil der Kirchengeschichte, in der bleibt, was die Vorgänger geschaffen haben; viel mehr als in der Politik.

Und doch ist Franziskus ein Änderer und Erneuerer, in manchem gar ein Revolutionär. Am Montag um kurz nach sieben wird er nach Lampedusa aufbrechen, zur Insel im Süden Italiens, wo Europa die Menschen zwischenlagert, die auf morschen Booten das Mittelmeer überwunden haben, das die arme von der reichen Welt trennt. Er wird die Männer treffen, die in der Hoffnung auf einen Job ihr ganzes Geld einem Menschenschmuggler gegeben haben, er wird die schwangeren Frauen und unbegleiteten Kinder treffen, die in der verzweifelten Hoffnung auf ein besseres Leben sich dem Durst und dem Tod auslieferten; er wird zum Gedenken an die Ertrunkenen einen Kranz ins Meer werfen. Es ist die erste Reise des neuen Papstes aus Rom heraus, er wird die Heilige Messe mit den Aussätzigen und Unberührbaren dieser Zeit feiern, den Flüchtlingen, die das reiche Europa als Bedrohung ansieht.

Nur ein Zeichen? Ganz anrührend, wie auch sonst die Bescheidenheit des Neuen, der weiterhin im Gästehaus wohnt und in seinen ausgelatschten schwarzen Schuhen herumläuft und am Gründonnerstag Strafgefangenen, Muslimen und Frauen die Füße wäscht? Nein - was Papst Franziskus da tut, ist mehr als ein Zeichen. Es ist die grundstürzende Veränderung eines Amtes, das wie kein anderes auf der Welt von Symbolen und Zeichenhandlungen lebt: Der Papst soll dem Evangelium gemäß leben. Er soll an die Ränder gehen, an die Ränder der Existenz - wo, wenn nicht bei den Flüchtlingen auf Lampedusa, sind diese Grenzen zu finden?

In nur vier Monaten Amtszeit hat Franziskus seine Kirche mit diesen Zeichen mehr verändert als Benedikt in acht Jahren. Ohne ein verändertes Papstamt ist keine Kurienreform möglich, kann es keinen Neuanfang oder kein seliges Ende bei der Vatikanbank geben. Franziskus mag manchmal wie der nette Priester von nebenan auftreten - in seinen Handlungen aber steckt erkennbar ein Plan.

Dass er sich nun in die theologische Tradition Benedikts stellt, kann ihm zunächst einmal helfen. Er kann seinen Skeptikern und Gegnern im Vatikan zeigen: Ich bin keiner von den modernen Relativierern. Aus dieser Weltfremdheit bezieht er seine Stärke und seine Autorität: Da kommt einer, der sich nicht den Maßstäben der Realpolitik verpflichtet sieht, dessen Wahrheit sich mit der Wirklichkeit des Schengen-Abkommens beißen muss. Franziskus nimmt Benedikt, so gesehen, mit ins Flugzeug nach Lampedusa; das ist die Stärke der Enzyklika. Den Fragen vieler Gläubigen nach einer Reform des kirchlichen Dogmengebäudes wird er sich trotzdem irgendwann stellen müssen.

© SZ vom 06.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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