Entwurf von Minister Maas:Stalking-Paragraf: in dieser Form untragbar

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Telefonanrufe können zu Terror werden, auch ohne dass Beleidigungen ausgesprochen werden. (Foto: dpa)

Der Justizminister meint es gut, doch das geplante Stalking-Gesetz ist noch unklarer formuliert als das geltende Recht - und bringt Richter in die Bredouille.

Kommentar von Ronen Steinke

Eigentlich kennen die Gerichte solche Geschichten ja seit alters her: Geschichten von Menschen, die sich wie Beute auf der Flucht fühlen, Geschichten von Einschüchterung und psychischer Zermürbung. "Hündisches Verhalten", wie es der Maler Alfred Kubin (1877-1959) seiner frustrierten Ex-Geliebten einmal wutentbrannt vorwarf. Die Frau ließ sich, einmal verstoßen, nicht mehr abschütteln und umschlich nachts sein Münchner Haus. Inzwischen aber können die Juristen schneller intervenieren als früher: Seit 2007 gibt es in Deutschland einen Straftatbestand Stalking im Strafgesetzbuch.

Es geht da um die scheinbar kleinen, unauffälligen, alltäglichen Belästigungen, die jede für sich genommen noch kein Polizeifahrzeug in Bewegung setzen würden: Telefonanrufe zum Beispiel, bei denen zwar keine strafrechtlich relevanten Schimpfwörter fallen, die aber trotzdem Telefonterror darstellen können; man denke an hundert solcher Anrufe. Oder Liebesbekundungen, die man zwar nur schwerlich unter den Tatbestand der Beleidigung fassen kann, die einen Menschen aber trotzdem fertigmachen können.

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Die Besonderheit des Stalkings ist: Es handelt sich um Verhalten, das, wenn auch vielleicht "hündisch", für sich betrachtet legal ist. Keine Nötigung, keine Beleidigung, keine Bedrohung; für all das gab es ja schon immer Paragrafen. Stalking ist das, was nicht diese Tatbestände erfüllt.

Bis 2007 hatte der Staat sich da lieber zurückgehalten. Die meisten Richter ziehen das auch weiterhin vor: Die Strafen, die den Belästiger erwarten, sind ohnehin niedrig, maximal drei Jahre Haft dürfen die Gerichte aussprechen, solange es sich nur um unkörperliche Belästigungen handelt. Jeder Handtaschendieb oder Betrüger fällt in Deutschland bereits unter ein schärferes Gesetz.

Die Zweifel der Richter

Die Gerichte schöpfen selbst diesen Rahmen kaum aus, in zwei von drei Fällen verurteilen sie lediglich zu Geldstrafen; die meisten Richter halten sich im Zweifel lieber ganz heraus und stellen ein. Für ihre Zweifel allerdings haben sie auch gute Gründe - das verkennt der Bundesjustizminister, der ihnen jetzt Beine machen will, indem er den Stalking-Paragrafen von 2007 verschärfen will.

Die Unklarheit spiegelt sich schon in der Sprache. Das englische Wort Stalking ist der Jägersprache entnommen und bedeutet Heranpirschen. Wo das anfängt und wo es aufhört - dazu schreibt das Justizministerium in seinem Entwurf nun vage, die vielen kleinen Belästigungen müssten so "beharrlich" sein, dass der Täter dadurch "die Lebensgestaltung" des Opfers "schwerwiegend beeinträchtigen" kann.

Was heißt das? Welches Verhalten geht noch als böser Streich durch, als grausamer vielleicht, aber doch als legaler - und wann wird es strafbar?

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Der geplante Paragraf zählt, um den Tatbestand einzugrenzen, weiterhin nur so unterschiedliche Beispiele auf wie die Kontaktaufnahme mit dem Opfer oder die Bestellung von Waren in dessen Namen. Von der wievielten E-Mail-Liebeserklärung an aber ist die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten? Der zehnten? Oder erst der zweihundertsten?

Minister Maas zieht die Grenze auch jetzt nicht klar - was schon bislang wolkig im Gesetzbuch steht, soll nach seinem Entwurf sogar noch wolkiger klingen.

Auf ein fassbares Leid des Opfers soll es gar nicht mehr ankommen, es soll für die Strafbarkeit eines Angeklagten künftig schon genügen, wenn ein Richter die Tat für "geeignet" hält, ein Opfer psychisch zu zermürben (wenn auch vielleicht nicht dieses). Die Entscheidung hängt letztlich von der Wertung des individuellen Richters ab. Glückssache, an wen man gerät.

Die zögerlichen Gerichte in Deutschland sehen es schon bislang ganz richtig: Das ist eines Rechtsstaats, der alle Bürger gleichbehandeln muss, nicht würdig.

© SZ vom 14.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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