Duisburg: Loveparade-Katastrophe:Wenn Traurigkeit zum Greifen ist

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Wut, Trauer, anhaltende Fassunglosigkeit: Duisburg gedenkt der Opfer der Loveparade-Massenpanik. Die Stadt begreift, dass ihr Name mit der Katastrophe verbunden bleibt - und zürnt ihrem Oberbürgermeister Sauerland.

Hanna Ziegler, Duisburg

An diesem grauen Tag, der weder Sommer noch Herbst sein will, hadert Heike Krajewski noch einmal mit dem, was geschehen ist. "Von Duisburg hat man sonst das Bild einer schmutzigen Industriestadt. Und da wollten die jetzt mal was auf die Beine Stellen, die Loveparade", sagt die 50-Jährige Frau und nippt an ihrem Kaffee. Duisburg, die graue Revierstadt, hatte ihren Schleier mit einer riesigen Party im Zeichen der Liebe abstreifen wollen. Und leere Kassen, das maue Image, die hohen Arbeitslosenzahlen für einen Tag vergessen machen. Es kam anders: Das Technofest wurde zum Desaster, das 21 Leben forderte und Hunderte verletzte.

Blumen und Kerzen stehen nach dem Trauergottesdienst in Duisburg in dem Tunnel, in dem bei einer Massenpanik während der Loveparade 21 Menschen zu Tode kamen. (Foto: ddp)

Nun sieht man die Trauerfarbe Schwarz überall in Duisburg. Eine Stadt trägt Trauer und die Republik schaut hin. Die Deutschen, die die Lust am gemeinsamen Feiern zuletzt während der Fußball-Weltmeisterschaft zelebriert hatten, nahmen Anteil. Unzählige Menschen können es nach wie vor nicht fassen, was an jenem 24. Juli passiert ist, allen voran die Duisburger selbst. "So eine Tragödie", murmelt Krajewski, "das betrifft uns schon sehr".

Für diesen Samstag hat sich die Frau mit den blondierten Haaren besonders fein angezogen, ihre Jeansjacke zieren Steinchen. Sie gehört zu den zu den Duisburgern, die ins Stadion des MSV gekommen sind, dorthin wird die zentrale Trauerfeier übertragen.

Auf Leinwänden sieht man, was sich in der Salvatorkirche abspielt. Bischöfe sprechen von der Loveparade, die sich in einen "Totentanz" verwandelt habe, sie versuchen sich im Trösten. Hannelore Kraft, die neue Ministerpräsidentin an Rhein und Ruhr, hält eine bewegende Rede. Vor Ort sind die Spitzen des Staates, der Präsident, die Kanzlerin, der Bundestagspräsident, Parteichefs und Minister, Honoratioren. Aber die einfachen Duisburger, sie gehören nicht zu den 550 geladenen Gästen in der Kirche. Sie trauern an anderen Orten, wie im Stadion des MSV.

Flucht durch den Bauzaun

In der Spielstätte des Fußball-Zweitligisten, dort wo sonst Fangesänge angestimmt werden, herrscht bedrückende Stille. Dort, wo 30.000 Personen Platz finden könnten, haben sich nur etwa 2600 Menschen verloren. Die leeren Ränge vertiefen die Trauer der Anwesenden weiter, denen es wirklich ein Bedürfnis war, ein Zeichen zu setzen.

Der schmale Weg vom S-Bahnhof Schlenk zur Arena ist von Polizisten und ihren Einsatzbussen gesäumt. Zwischen dem Unkraut auf dem Gehweg liegen zerbrochene Bierflaschen, die Kleingärtner der angrenzenden Schrebergartenkolonie flaggen auf Halbmast. Die dicken Befestigungsschnüre schlagen gegen die Alumasten.

In kleinen Gruppen steigen die meisten Menschen am Vormittag kurz vor elf Uhr die Treppen in das Stadion hinauf. Ordner verteilen Handzettel auf denen der Ablauf des Gottesdienstes und Liedtexte stehen. Orgelvorspiel, Lied, Predigten, Vaterunser, Segen.

Heike Krajewski steht mit ihrem Kaffeebecher vor dem Tribünenzugang. Auch ihre Tochter war am Samstag vor einer Woche auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs feiern, 15 Jahre jung ist sie. Dann kamen die ersten schlimmen Nachrichten, die Mutter bangt zuhause, die Tochter ist nicht erreichbar, schickt keine SMS, stundenlang dauert die Ungewissheit. Dann die Erlösung: Das Mädchen konnte durch einen Bauzaun fliehen.

Heike Krajewski sagt, es sei nicht Trauer, die sie dazu bewegt in das Fußballstadion zu gehen, nein, sie nennt es anders: So etwas wie Solidarität, sie will Mitgefühl zeigen. Den Eltern, die vergeblich auf ein Lebenszeichen ihrer Kinder gewartet hatten und den Hilfskräften, die so Schlimmes erlebt haben.

Loveparade-Katastrophe
:Eine Stadt trauert

Duisburg bereitet sich auf die Gedenkzeremonie für die 21 Todesopfer der Massenpanik auf der Loveparade vor - die Trauerfeier in Bildern.

Von der ausgelassenen Party zur Trauerfeier, in Duisburg liegt dazwischen eine kurze Distanz, das kann die 21 Jahre alte Sarah Grewe bezeugen. Mit ihren Freundinnen feierte die junge Frau auf der Loveparade. Eine Woche später ist die Gruppe wieder zusammengekommen, um den 21 Opfern zu gedenken. Täglich ist sind sie wieder mit den Bildern von der Loveparade konfrontiert. Die Bilder von Menschen, die feiern wollten wie sie und panisch nach einem Ausweg aus dem engen Tunnel suchen. Als es passierte bekam Grewe nichts mit - sie befand sich in einer ungefährlichen Ecke der Riesenparty. Nun, im Stadion, sucht auch sie Gespräche. "Es ist einfacher mit dem Erlebten klarzukommen, wenn man sich austauschen kann", sagt die junge Frau. An diesem Tag geht es um das Wir, die Suche nach Gleichgesinntenn, nach gleich Fühlenden.

Friedrich Vogelpahl ist so einer, schon berufswegen. Hier im Stadion kümmert sich der Beckumer Pfarrer mit 20 anderen Seelsorgern, um die Trauernden. Der Kirchenmann ist nicht zu übersehen: In gelber Warnweste und Pfeife im Mundwinkel streift er durch die grau betonierten Gänge des Stadions. "Kollektive Trauer ist eine gute Form", sagt der 61-Jährige. Vogelpahl ist froh, über jeden Betroffenen, der unter Menschen geht: "Zu Hause ist die Gefahr sehr groß, dass man sich abkapselt und den Schmerz nicht bewältigt".

"Aus der Tiefe rufe ich zu dir: Herr höre meine Fragen", lautet eine Textzeile im ersten Lied, das in der Salvatorkirche gesungen wird und über Lautsprecher sowie Bildschirm ins Stadion übertragen wird. Wer ist schuldig? Wer trägt Verantwortung?

Der Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, spricht in seiner Predigt von "Menschen, die wie versteinert versuchen, Verantwortung von sich weg zu schieben."

Für die Menschen im Stadion kommt es an, als ob er nur zwei Männer gemeint haben könnte. Den Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland sowie den Veranstalter der Loveparade, Rainer Schaller. Der Politiker sieht sich unbeteiligt, weil er die Genehmigung für die Veranstaltung nicht persönlich unterschrieben hat, der andere sieht Stadt und Polizei in der Schuld. Blanker Hohn für die meisten Duisburger.

Ein Stadtnamen, der für eine Katastrophe steht

Günther Lorentz ist wütend auf beide. "Jeder schweigt sich aus und will es nicht gewesen sein. Hätte der Sauerland Anstand, dann würde er jetzt freiwillig gehen." Auch Heike Krajewski ist sich sicher: "Den will in Duisburg keiner mehr sehen".

21 Kerzen werden in Kirche und Stadion entzündet. Eine für jedes Opfer. Eine junge Ordnerin schluchzt. Mit glasigen Augen starrt sie vor sich hin. Ein junger Mann, nicht viel älter als 20, steht immer wieder auf und verlässt die Tribüne. Draußen zieht er mechanisch an seiner Zigarette, wischt sich Tränen aus den Augen. Er hält das nicht aus, aber gehen will er auch nicht. Cello-Musik aus der Kirche tönt aus den Lautsprechern, im Stadion kommen immer mehr Menschen kommen die Tränen. Die Traurigkeit scheint mit Händen greifbar.

Die Übertragung endet, das gemeinsame Trauern ist längst nicht vorbei. Viele Menschen bleiben sitzen, manche mehr als eine Stunde. Das Begreifen wird für viele dieser Menschen noch lange dauern. Ihre Stadt ist nun zum Inbegriff der Tragödie geworden. So wie Winnenden, so wie Ramstein.

In der Innenstadt startet ein Trauerzug. In einem Park lassen die Teilnehmer 500 weiße Luftballons und 21 schwarze steigen. Der graue Himmel über Duisburg schluckt sie bald.

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