Wie viel grauer die Welt jetzt ist, hat nicht nur mit dem eigenen Gemütszustand zu tun, sondern ist sicht- und hörbar seit Tag eins. Das Kindergeschnatter vom Spielplatz ums Eck, das einem sonst beim Vorrübergehen verlässlich gute Laune machte, ist einer toten Stille gewichen. Die Nordic-Walking-Gruppe von Rentnern, gerne abends mit Stirnlampe und bunten Funktionsjacken unterwegs, die fröhlich durchs Viertel trabte, hat sich aufgelöst. Die Jugendlichen, die sich auf der Parkbank unten an der Brücke versammelten, dürfen das jetzt so nicht mehr tun.
Wenn einzelne Gruppen der Gesellschaft zu wenig Gehör finden in diesen Tagen, mag das auch daran liegen, dass sie weniger Möglichkeit haben, sich Gehör zu verschaffen. Und so kommt es einem vor, als wären sie alle verschluckt worden aus der Öffentlichkeit.
Aber dann lagen da vor ein paar Tagen plötzlich bunte Steine auf dem Bürgersteig. Man entdeckte sie beim Passieren der nahegelegenen Grundschule, Lehrer und Lehrerinnen wünschten auf Fotos von sich am Eingangstor ihren so vermissten Schülern und Schülerinnen alles Gute. Die Steine leuchteten in grellen Farben, manche, die mit Glitzerspray besprüht waren, funkelten sogar - und sendeten Botschaften: "Mut" stand da auf einem, mehr nicht. Große Steine, kleine Steine, wohlgeformte und krumpelige, Marienkäfer, Monster, Regenbogen mit Wolken.
Dazu ein laminierter Hinweis, an der Hauswand befestigt: "Bitte liegen lassen!", und: "Bemale doch zu Hause einen Stein und lege ihn an das Ende der Steinschlange. Mal sehen, wie lange die Schlange in der Corona-Zeit wird! Gemeinsam schaffen wir es bestimmt weit!"
Die Schlange reichte da schon fast bis zur nächsten Ampel. Man kam gut an ihr vorbei, aber kaum, ohne sich bei jedem Stein zu fragen, wie es dem Maler, der Künstlerin dazu jetzt wohl gehen möge: Vermisst du deine Freunde? Streiten sich deine Eltern mehr? Macht dir die Zukunft Angst? Was würdest du Frau Merkel und all den anderen Politikern gerne sagen? Wenn Steine sprechen könnten: Das wäre in diesem Moment schön gewesen.
Stattdessen liegen sie da. Nicht im, sondern auf dem Weg. Sie tun das inzwischen in ganz Deutschland, von Haltern am See in Nordrhein-Westfalen bis Plattling in Niederbayern, irgendeiner hatte die Idee, irgendwo, es lässt sich nicht mehr zurückverfolgen, aber auf Instagram bewundern. Dort sieht man Reihen von Steinen, die sich einen Hügel hinaufschlängeln, die einem Baum ausweichen, die der Betonwüste der Städte etwas entgegensetzen. Mit jedem Tag werden diese Steinreihen länger und formen sie sich zu einem stillen Protest: He, wir sind auch noch da!
In jeder Krise passiert auch Gutes, selbst wenn man es nicht immer auf den ersten Blick erkennen kann. In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure täglich über die schönen, tröstlichen oder auch kuriosen kleinen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute.