Chronologie des Falles Hussein K.:Ein Verbrechen, das Deutschland erschüttert

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Der afghanische Asylbewerber Hussein K. hat gestanden, die Studentin Maria L. vergewaltigt und getötet zu haben - an diesem Donnerstag fällt in Freiburg das Urteil.

Von Cristina Marina

Die 19-jährige Studentin Maria L. aus Freiburg wurde vergewaltigt und getötet, der mutmaßliche Täter ist ein junger Asylbewerber aus Afghanistan. Es ist ein Verbrechen, das Deutschland erschütterte und eine erbittert geführte Debatte über die Flüchtlingspolitik auslöste. Fast ein Jahr lang ermittelte die Polizei, mehr als ein halbes Jahr dauerte anschließend das Gerichtsverfahren. An diesem Donnerstag will das Landgericht Freiburg sein Urteil gegen Hussein K. sprechen. Ein Rückblick auf die Ermittlungen und den Prozess.

16. Oktober 2016: Junge Frau tot aufgefunden

Die 19-jährige Medizinstudentin Maria L. wird am Ufer des Flusses Dreisam in Freiburg tot aufgefunden. Sie wurde gewürgt und vergewaltigt.

19. Oktober: Tod durch Ertrinken

Die Obduktion ergibt, dass Maria L. in der Dreisam ertrunken ist. Zum Zeitpunkt des Todes war sie bewusstlos, ihr Körper weist mehrere Bisswunden auf. Die Polizei ermittelt, dass Maria L. in der Tatnacht mit dem Fahrrad von einer Studentenfeier auf dem Weg nach Hause war.

6. November: Weitere junge Frau getötet

Eine 27-jährige Joggerin wird in Endingen bei Freiburg sexuell missbraucht und ermordet. Beide Taten ähneln sich, die Ermittler befürchten, dass es sich um einen Serientäter handeln könnte. Zwei Sonderkommissionen der Freiburger Polizei mit etwa 80 Beamten ermitteln. Sie müssen weit mehr als 1000 Spuren nachgehen. Eine davon ist ein langes, teils blondiertes Haar, das am ersten Tatort gefunden wurde. Die Ermittler haben Glück: Beim Durchsehen von Überwachungsvideos der Freiburger Verkehrsgesellschaft aus der Tatnacht entdeckt eine Polizeibeamtin einen Mann mit der passenden Frisur in der Straßenbahn.

2. Dezember: Afghanischer Flüchtling verdächtigt

Hussein K. wird als Tatverdächtiger festgenommen. Der Asylbewerber aus Afghanistan kam 2015 nach Deutschland. Bei seiner Aufnahme hatte er angegeben, er sei 16 Jahre alt. Zum Zeitpunkt der Tat an Maria L. wäre Hussein K. demnach noch minderjährig. Für die Tat an der Joggerin, das stellt sich später heraus, kommt er nicht in Frage. Ein rumänischer Fernfaher, der in der Nähe von Freiburg lebt, wird dafür Ende 2017 zu lebenslanger Haft verurteilt.

3. Dezember: Neue Flüchtlingsdebatte flammt auf

Viele Medien berichten über die Festnahme von Hussein K., die "Tagesschau" zunächst nicht. Die Begründung der Redaktion lautet: Der Mordfall habe vor allem regionale Bedeutung. Diese Entscheidung bringt der ARD Kritik ein. Besonders in den sozialen Medien wird der Fall "Maria L." in einen Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik der Regierung gestellt. Eine neue Debatte über Fehler im Asylrecht und die Aufnahmebereitschaft in Deutschland beginnt.

13. Dezember: Verdacht auf Vorstrafe in Griechenland

Die Polizei prüft Hinweise, denen zufolge Hussein K. ein in Griechenland vorbestrafter Gewalttäter ist. Er habe im Mai 2013 auf der Insel Korfu eine 20-Jährige überfallen und sie eine Klippe hinabgeworfen. Die Frau soll schwer verletzt überlebt haben, der Täter damals verurteilt worden sein. Damit kommen Zweifel am Alter des Tatverdächtigen auf. Hussein K., der im Untersuchungshaft sitzt, schweigt weiterhin - sowohl über die Tat an Maria L. als auch über seine Lebensgeschichte.

15. Dezember: Panne bei den griechischen Behörden

Der Abgleich der Fingerabdrücke bringt Gewissheit: Hussein K. ist derselbe Mann, der im Februar 2014 in Griechenland wegen versuchten Mordes zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Im Rahmen einer Amnestie wurde er im Oktober 2015 vorzeitig gegen Auflagen entlassen. Im November reiste er ohne Papiere nach Deutschland ein, wurde als minderjähriger Flüchtling anerkannt und kam bei einer Pflegefamilie unter. Die griechischen Behörden hatten nur landesweit nach Hussein K. gefahndet und ihn in das europäische Strafregister nicht eingetragen - dadurch funktionierte der Datenaustausch in der EU nicht.

10. Februar 2017: Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sollen stärker überprüft werden

In Baden-Württemberg sollen nun Beamte des Landeskriminalamts die Personalien von "unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen" überprüfen und nachträglich vollständig erfassen. Auf einer Ministerpräsidentenkonferenz wird beschlossen, dass die Jugendämter bei der Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge künftig immer einen Asylantrag stellen müssen. Das soll helfen, Daten besser zu erfassen.

31. März 2017: Mordanklage gegen Hussein K. erhoben

Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Mordes. Zwei von den Ermittlern eingeholte Altersgutachten gehen davon aus, dass Hussein K. zur Tatzeit mindestens 22 Jahre alt war. Weil letzte Zweifel nicht ausgeräumt werden können, soll gegen Hussein K. dennoch nach Jugendstrafrecht verhandelt werden.

29. Juli 2017: Fall Maria L. führt zur Gesetzesverschärfung

Das "Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" tritt in Kraft. Es erleichtert Abschiebungen krimineller Flüchtlinge. In der Diskussion um das Gesetz führen Politiker auch den Mordfall "Maria L." an.

5. September 2017: Der Prozess beginnt

Am ersten Tag des Gerichtsprozesses erzählt Hussein K. erstmals von sich. Er gibt zu, falsche Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Sein Leben in Freiburg soll von Alkohol und Drogen geprägt gewesen sein. Der Prozess ist öffentlich, außer als es um die Sexualität von Hussein K. geht. Der Angeklagte hatte einem Gutachter erklärt, er sei in einer Koranschule von den Taliban missbraucht worden.

11. September 2017: Überraschendes Geständnis

Hussein K. gesteht, Maria L. vergewaltigt und getötet zu haben. Er habe sie mit einem Schal gewürgt, dann habe er sich an ihr vergangen. Ein Kriminaloberkommissar belastet Hussein K. schwer: Er soll in der Tatnacht mehrere Frauen belästigt haben. Zudem soll Hussein K. einem Mitinsassen im Gefängnis erzählt haben, dass er in Iran als 14-Jähriger ein zwei Jahre jüngeres Mädchen vergewaltigt habe. Der Polizist sagt auch aus, dass Hussein K. seit seiner Verhaftung zweimal versucht habe, sich das Leben zu nehmen. In der Freiburger Uniklinik war er wegen psychischer Probleme im Frühjahr 2016 viermal - auch medikamentös - behandelt worden.

Freiburger Mordprozess
:Wie Polizisten das Handy des Tatverdächtigen auslasen

Eine israelische Firma half Ermittlern, das Smartphone von Hussein K. zu knacken. Er soll die Freiburger Studentin Maria L. vergewaltigt und ermordet haben. Sein Geständnis erscheint nun fragwürdig.

Von Katharina Kutsche und Hakan Tanriverdi

10. Oktober 2017: Pflegefamilie von Hussein K. sagt aus

Die Pflegemutter von Hussein K. kennt die afghanische Kultur und ist im Umgang mit jungen Geflüchteten erfahren. Seit Ende 2015 war sie als ehrenamtliche Helferin tätig. Als sie Hussein K. kennenlernte, habe sie ihren Mann, einen 61-jährigen Kinderarzt, überzeugt, ihn als Pflegesohn aufzunehmen.

14. November 2017: DNA von Hussein K. am Tatort nachgewiesen

Hussein K. versucht zum dritten Mal Suizid zu begehen. An vielen Beweisstücken, die vom Tatort stammen, ist genetisches Material des Angeklagten nachgewiesen worden. Mittlerweile sind zwei Gutachter zu dem Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat älter als 21 Jahre alt war.

2. März 2018: Psychiatrisches Gutachten

Das Gutachten des forensischen Psychiaters beschreibt Hussein K. als manipulative Person mit psychopatischen Zügen. Der Angeklagte habe im Prozess auf eine traumatische Kindheit verwiesen und angegeben, er sei vergewaltigt worden. In der Tatnacht sei er betrunken gewesen und habe sein Opfer nicht gezielt ausgewählt. Doch sämtliche Versuche, die Tat zu entschuldigen oder seine Schuld zu schmälern, seien nicht überzeugend, so der Gutachter. Hussein K. sei nicht traumatisiert und nicht psychisch krank, seine Suizidversuche in Haft seien nicht ernst zu nehmen. Der Gutachter spricht sich dafür aus, dass der Angeklagte nach der Haft in Sicherungsverwahrung kommt.

9. März 2018: Staatsanwalt und Nebenklage fordern Höchststrafe

Oberstaatsanwalt Eckart Berger fordert im Mordprozess gegen Hussein K. lebenslange Haft, Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und Anordnung der Sicherungsverwahrung. Es ist die höchste Strafe, die das deutsche Recht vorsieht. Eine Freilassung auf Bewährung nach 15 Jahren wäre dann ausgeschlossen.

12. März 2018: Verteidiger fordert Therapie für Hussein K.

Pflichtverteidiger Sebastian Glathe fordert kein bestimmtes Strafmaß, legt für den Angeklagten aber eine Psychotherapie nahe. In seinem Plädoyer merkt Glathe an, dass eine Verurteilung wegen Mordes und Vergewaltigung auch nach Jugendstrafrecht rechtlich möglich sei. Für die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld sowie die Anordnung der Sicherheitsverwahrung fehle die Grundlage.

22. März 2018: Urteil

Als das Landgericht Freiburg das Urteil verkündet, wird im vollbesetzten Saal geklatscht. Hussein K. hat die Höchststrafe bekommen. Wegen des Mordes ist er zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Richter stellten zudem die besondere Schwere der Schuld fest und ordneten die Sicherungsverwahrung an. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen.

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