Musik:Chorprobe auf Parkdeck 1

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Vier Meter Abstand nach vorne: Chorprobe im Kölner Messeparkhaus. (Foto: Benedikt Müller-Arnold)

Weil Sänger in der Corona-Krise großen Abstand halten müssen, sind die Proberäume vieler Chöre viel zu klein für alle. In Köln weicht eine Gruppe nun ins Messeparkhaus aus.

Von Benedikt Müller-Arnold, Köln

Der Kassenautomat in Ebene 1 blinkt und blinkt, als wäre nichts gewesen. Seit Monaten hat er so gut wie nichts zu tun. Niemand fährt mehr ins Kölner Messeparkhaus, seitdem in der Corona-Krise alle Messen ausgefallen sind. Fünf flache Geschosse aus Beton und Stahl: ungenutzt, verschwendet.

Dafür zieht montags jetzt ganz neues Leben ein. 30 Sänger stehen im großen Halbkreis über zwei Parkreihen. Der Kölner Chor D'Acchord hat sein Piano an zwei Boxen angeschlossen. Leiter Niklas Genschel, 32, schnipst seine Leute ein. Sie summen a cappella, die Solistin singt "I Wanna Settle Down", ein Lied der Soul-Sängerin Kimbra: "Ich will mich niederlassen."

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Das Niederlassen, es ist das große Problem vieler Chöre während der Pandemie.

Denn gemeinsames Singen, das Hobby von gut zwei Millionen Chormitgliedern in Deutschland, ist plötzlich zur Gefahr geworden. Wer trällert, atmet Tröpfchen und Aerosole ein und aus, die das Virus übertragen können. Seitdem halten sie bei D'Acchord vier Meter Abstand vor jedem Sänger nach vorn sowie drei Meter zur Seite. Wie viel Distanz beim Singen wirklich geboten ist, untersuchen Wissenschaftler noch.

Stehen jetzt viele Chöre vor dem Aus?

Doch für viele Chöre bedeutet das: Pause, seit Monaten. Auch der Proberaum von D'Acchord, ein Kölner Gemeindehaus, war plötzlich viel zu klein für alle. Der Chor versuchte es per Videokonferenz: Genschel sang die Stimmen vor, alle schmetterten zu Hause nach. Funktionierte nicht wirklich. "Die Sänger waren stumm geschaltet", erzählt der Chorleiter - zu groß sind die Verzögerungen in Videotelefonaten, solange Echtzeit-Technologien wie 5G nicht in der Breite angekommen sind. "Das hat natürlich keinen Spaß gemacht."

Als man sich Wochen später wieder zu zehnt treffen durfte, probte Genschel in Grüppchen, mit Abstand an der frischen Luft. Doch dort geht viel vom Klang verloren, heißt es auch vom Deutschen Chorverband (DCV): Nicht jeder hört dann noch seinen Nebenmann oder andere Stimmen. Und je kälter und regnerischer das Wetter, desto unrealistischer werden Proben und Auftritte im Freien.

Beim DCV befürchtet man daher, dass die Corona-Krise den Umbruch hiesiger Chöre beschleunigen könnte. Vor allem im ländlichen Raum habe so manche Gruppe ohnehin Nachwuchsprobleme, sagt eine Sprecherin. Sich die Zeit nur mit Rhythmus-Übungen oder gemeinsamem Summen zu vertreiben, ist auf Dauer eher keine Lösung. Wer lange mit Mund-Nasen-Schutz singt, hat früher oder später eine feuchte Maske, die ihre Schutzfunktion verliert. Und längst nicht jeder Chor weicht so flexibel ins Internet aus oder fragt mal eben ein Messeparkhaus an wie die im Schnitt Mittdreißiger von D'Acchord.

Keine Messen bis Oktober

"Solange es warm genug ist", sagt Genschel, soll die wöchentliche Probe im Parkhaus steigen, das eigentlich für Großveranstaltungen taugt. "Akustisch ist es hier viel besser." Die niedrigen Decken koppeln den Gesang zurück, der Seitenwind verwirbelt Aerosole. Nur ab und an rauscht nebenan die Eisenbahn vorbei.

Platz ist im Parkhaus genug, noch mindestens zwei Monate lang. So lange finden in Köln keine Messen statt, obwohl sie mittlerweile unter Auflagen erlaubt sind. Doch zu viele Aussteller haben angekündigt, dass sie vorerst keine Branchentreffen besuchen. In den Kölner Messehallen, zusammengerechnet größer als 50 Fußballfelder, fanden stattdessen Uni-Klausuren statt. Die städtische Messegesellschaft erwartet in diesem Jahr eigenen Angaben nach "Umsatz- und Gewinneinbußen in dreistelliger Millionenhöhe".

Im Parkhaus hält D'Acchord mit trotzigen Texten dagegen, singt den Popsong "Titanium" von Sia: "Du schießt mich ab, aber ich stehe auf. / Ich bin kugelsicher, habe nichts zu verlieren." Noch im Februar, kurz vor der Corona-Krise, hatte der Chor vor 600 Gästen in einer Kölner Aula gesungen. Ihren nächsten Konzerttermin haben die Sänger auf den 12. Dezember verschoben, es ist ein Hoffnungswert. Bis dahin bleibt der Kassenautomat ihr einziger Zuhörer.

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