"Niklas P. hat das gelebt, was Bonn als tolerante Stadt ausmacht", sagt Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan der SZ. Nicht nur er betont immer wieder, dass der 17-Jährige, selbst Deutscher, einen muslimischen Jungen zu seinen besten Freunden gezählt habe. Auch Familie und Bekannte des Opfers haben das mehrfach bestätigt.
Sie alle widersprechen der Geschichte, die rechte Gruppen jetzt verbreiten: Deutscher Junge wird von Ausländern angegriffen, Polizei unternimmt nichts, Politik und Medien schauen zu. Das ist der Tenor der Parolen, auf Facebook und auf der Straße - nur wenige Meter vom Tatort entfernt wird am Samstag demonstriert.
Zehnmal so viele Gegendemonstranten
"Ich finde es unfassbar, dass diese Menschen solch eine schreckliche Tat für ihre Propagandazwecke missbrauchen", sagt Sridharan. Auch am Telefon und auch einen Tag später ist die Erregung des Bonner Oberbürgermeisters zu spüren. Immerhin ist er erleichert, dass es "weniger als 30 Rechte" waren, die sich versammelten, während bei der Gegendemonstration unter dem Motto "Bonn stellt sich quer" mindestens zehnmal so viele Teilnehmer anwesend waren. "Gut, dass so viele Bonnerinnen und Bonner gekommen sind, um ein Zeichen zu setzen", so der CDU-Politiker.
Gut eine Woche ist vergangen seit dem brutalen Angriff auf Niklas P., zusammengeschlagen und zusammengetreten von drei Männern, gestorben wenige Tage später in der Uni-Klinik Bonn an seinen schweren Verletzungen.
Wie die Tat ablief, ist bekannt: Niklas P. hatte mit seiner Schwester, einem Freund und einer Freundin die bekannte Musik- und Feuerwerksveranstaltung "Rhein in Flammen" besucht, die Gruppe war mit dem Nachtbus zum Bahnhof nach Bad Godesberg gefahren und wollte mit dem Zug weiterfahren ins etwa 30 Kilometer entfernte Bad Breisig, dem Heimatort von Niklas P. Vor einem bepflanzten Rondell an der Ecke Rheinalle/Rüngsdorfer Straße trafen sie dann auf die Tätergruppe. Wie viele Personen dazugehörten, ist nicht sicher, in Medienberichten ist von "mindestens vier Männern" die Rede. Allerdings sollen wohl nur drei Männer an der Tat beteiligt gewesen sein. Nach einem kurzen Streit sollen sie sofort zugeschlagen und auch nicht von Niklas P. abgelassen haben, als der längst am Boden lag. Einer der Täter soll ihm mehrmals gegen den Kopf getreten haben.
Die Polizei hat eine Sondereinheit eingesetzt, um die Täter zu finden. Nach Informationen des WDR ist sie am Sonntag noch einmal verstärkt worden, viele Beamte hätten freiwillig auf den Pfingsturlaub verzichtet. Die Ermittler haben relativ genaue Personenbeschreibungen von drei Verdächtigen veröffentlicht, außerdem in der Nähe des Tatortes Flugblätter in drei Sprachen verteilt, um die Fahndung zu erleichtern. Anfangs waren die Beamten zuversichtlich, weil sich direkt am Tatort ein Kiosk befindet, der über eine Videokamera verfügt. Diese war jedoch in der betreffenden Nacht nicht eingeschaltet.
Zum Stand der Ermittlungen hält sich die Polizei bedeckt. Ein Sprecher will der SZ am Sonntag nur sagen, dass man in alle Richtungen und mit großem Einsatz ermittle und es derzeit keinen neuen Stand gebe. Genaueres könne man "aus ermittlungstaktischen Gründen" nicht sagen. Inzwischen sind aber wohl einige Hinweise eingegangen, die die Polizei als hilfreich einschätzt.
Die Beschreibung "Brauner Hauttyp" reicht den Rechten für ihre Schlussfolgerungen
So bleiben Unklarheiten. Etwa die Frage, warum bisher keine Phantombilder angefertigt wurden, obwohl mehrere Zeugen die Tat beobachtet haben und schließlich dazwischengegangen sein sollen. Ob die Täter einen Migrationshintergrund haben oder nicht, ist nach Lage der Dinge unsicher. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn die Polizei das noch einmal klarstellt. Vielleicht ist es unerheblich, weil rechte Hetzer ohnehin Stimmung machen.
Dass zwei der Männer einen "braunen Hauttyp" und "schwarze Haare" haben sollen, wie es in dem Fahndungsaufruf der Polizei heißt, reicht ihnen, um von der Tat auf das Totalversagen der Politik und der Medien zu schließen. "Heute tolerant, morgen fremd im eigenen Land" steht auf einem der Transparente, das die Rechten am Samstag mitgebracht haben. Für kommenden Dienstag hat eine bekannte Rechtsextremistin aus dem Rheinland, die bei der Veranstaltung in Bad Godesberg von einem Gericht Redeverbot erteilt bekommen hatte, eine weitere Kundgebung angemeldet.
Kritik an der Polizei kommt auch vom Bündnis "Bonn stellt sich quer", das die Gegendemonstration organisiert hatte und der Polizei "völliges Versagen" vorwirft. "Wir waren entsetzt, dass den Rechten so das Feld überlassen wurde und die Polizei sie keine drei Meter von Tatort entfernt mit ihrer Demonstration starten ließ. Das war gegen die vorher getroffenen Absprachen", sagt Martin Behrsing, Sprecher von "Bonn stellt sich quer".
Das Rondell an der Bushaltestelle nahe des Bahnhofs in Bad Godesberg hat sich am Sonntag in eine Gedenkstätte verwandelt. Hunderte Passanten haben Blumen und Briefe niedergelegt, haben außerdem Kerzen zum Gedenken an den 17-Jährigen aufgestellt. "Wehe euch Tätern, die Sinnlosigkeit eurer Tat ist so groß wie das Leid, das nun die Familie und die Freunde des Opfers erdulden müssen. Eure Strafe kann gar nicht groß genug sein", steht dort auf einem Zettel.
Der Tatort liegt in unmittelbarer Nähe zum sogenannten Diplomatenviertel. Als Bonn noch Hauptregierungssitz war, residierten in den zahlreichen Gründerzeitvillen viele Botschaften. Ein Teil dieser Welt ist noch übrig. Noch immer wohnen rund um die Rheinallee eher gut situierte Bürger, doch bereits einige Straßen weiter gibt es soziale Brennpunkte.
"Viele Menschen, die am unteren Rand der Gesellschaft leben, auf Sozialleistungen angewiesen sind und keine Perspektive haben", sagt Behrsing über den Stadtteil. Der Bonner Dokumentarfilmer Hubertus Koch, der am Samstag bei den beiden Demonstrationen Aufnahmen gemacht hat, wird gegenüber dem WDR noch deutlicher, spricht von "Parallelgesellschaften", die in Bad Godesberg aufeinanderprallen. "Dass es Konflikte gibt, dass es auch Gewalt gegen Deutsche gibt, ist nichts Neues", sagt er in dem Beitrag und betont gleichzeitig, dass ihn die Rechten "anekeln", die all das für ihre Hetze benutzten und den Niklas' Namen in den Mund nähmen.
3000 Euro Belohnung
Auch Oberbürgermeister Sridharan, der erst seit Oktober im Amt ist, räumt ein, dass es in der Vergangenheit in Bad Godesberg oft Probleme gab. "Wir hatten dort rivalisierende Jugendbanden und erst vor ein paar Monaten eine schwere Schlägerei." Deshalb sei eine Partnerschaft zwischen Polizei und Stadt eingerichtet worden, Ordnungsamt und Polizei zeigten in Problemvierteln seitdem mehr Präsenz.
"Wir erreichen wir die Jugendlichen so rechtzeitig, dass wir deeskalierend und präventiv eingreifen können?", das sei die Frage, mit der sich die Politiker in der Stadt jetzt befassen müssten. In der kommenden Woche werde er alle Verantwortlichen von Stadt, Polizei, Schulen, Kirchen und sozialen Einrichtungen an einen Tisch bringen und Gespräche darüber führen, welche Konsequenzen jetzt gezogen werden müssen, damit eine "solch abscheuliche Tat in Zukunft verhindert werden kann", so Sridharan.
Bleibt zu hoffen, dass die Täter rasch gefasst werden. Die Staatsanwaltschaft Bonn hat eine Belohnung von 3000 Euro für Hinweise ausgesetzt, die zur Ergreifung der Täter führen. Private Initiativen planen, diese Summe noch aufzustocken.