Berlin: Tödliche Therapie:Eskalation einer spirituellen Krise

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Ein Berliner Arzt soll bei einer psychedelischen Gruppensitzung mit Drogen experimentiert haben - zwei seiner Patienten sind dabei gestorben.

C. von Bullion

Es ist nicht bekannt, welche Hoffnungen und Nöte zwölf Menschen am Samstagnachmittag in die Praxis des Doktor Garri R. getrieben haben. Klar ist nur, dass mindestens zwei von ihnen nicht überlebt haben, was der Facharzt für Allgemeinmedizin ihnen verabreichte. Bei einer psychedelischen Gruppensitzung in einem biederen Einfamilienhaus im Berliner Vorort Hermsdorf berauschten sich die Teilnehmer mit verschieden Drogen, zu denen Amphetamine, Ecstasy und Heroin gehört haben sollen.

Auch "psycholytische Therapie" im Angebot: das Haus in Berlin, in dem der Arzt seine tödlichen Experimente durchgeführt haben soll. (Foto: Foto: dpa)

Als es einigen Patienten schlecht ging, rief ein Teilnehmer die Feuerwehr, bald kam ein Rettungshubschrauber - zu spät. Ein 59 Jahre alter Mann, der im Dachgeschoss im Delirium gelegen haben soll, konnte nicht mehr reanimiert werden. Ein 28-Jähriger starb im Krankenhaus, andere erlitten Vergiftungen. Ein dritter Patient lag am Sonntag im Koma, ob er überlebt, ist unklar.

Sein Zustand sei "ausgesprochen schlecht", sagte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, am Sonntag. Den übrigen neun Teilnehmern der Gruppensitzung geht es offenbar relativ gut, sie kamen zur Beobachtung in Krankenhäuser.

Der 50 Jahre alte Arzt Garri R. hat nach seiner Festnahme eingeräumt, seinen Patienten Drogen verabreicht zu haben. Um welche Substanzen es im einzelnen ging, müssen die Ermittler allerdings noch endgültig klären, die toxikologischen Untersuchungen sollen noch einige Tage dauern.

Offensichtlich haben auch nicht alle Patienten die gleiche Mixtur zu sich genommen, sondern wurden je nach individuellem Bedarf versorgt. Die Drogen wurden nicht nur oral eingenommen, sondern auch gespritzt, dies sei aber "eher die Ausnahme" gewesen, so die Staatsanwaltschaft.

Einige der Therapieteilnehmer sollen angeblich so aufgekratzt gewesen sein, dass sie sich aggressiv gegen die Rettungsversuche der Notärzte wehrten, andere sollen aus dem Haus gerannt sein, um auf der Terrasse weiter zu meditieren. Um sicherzustellen, dass die Ärzte arbeiten konnten, war offenbar polizeilicher Druck notwendig.

Gegen den Mediziner wurde am Sonntagabend Haftbefehl erlassen. Es bestehe der dringende Tatverdacht der Körperverletzung mit Todesfolge in zwei Fällen sowie der gefährlichen Körperverletzung in sechs Fällen, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Bei dem Mann besteht nach Ansicht des Amtsgerichtes Tiergarten Fluchtgefahr. Untersucht werden muss nun, inwieweit der Arzt die Risiken seiner Therapiemethode kannte.

Ganz ahnungslos im Umgang mit bewusstseinserweiternden Substanzen dürfte er aber nicht gewesen sein. Auf seinem Türschild steht zu lesen, dass er neben Sucht-, Gestaltungs- und Körpertherapie auch Hilfe in "spirituellen Krisen" bietet, auch "psycholytische" Therapie soll da im Angebot sein.

Das ist eine Methode, die der Göttinger Psychiater Hanscarl Leuner in den frühen 1960er Jahren entwickelt hat. Leuner versuchte mit der Analyse von Tagträumen die innere Bilderwelt seiner Patienten aufschließen, er experimentierte bei Neurosen mit LSD und der Schamanendroge Mescalin. Die Fachwelt wandte sich ab und warnte vor Drogenmissbrauch.

Leuner dagegen versuchte, seine Methoden wissenschaftlich zu belegen, gab Workshops, und seine Anhänger arbeiten bis heute nicht nur mit Halluzinogenen, sondern auch mit eigentümlichen Apparaturen, die das "respiratorische Feedback" messen und psychisch Kranken zu innerem Frieden verhelfen sollen.

Schon möglich, dass der Berliner Arzt Garri R. den alten Leuner ein bisschen zu wörtlich genommen hat.

© SZ vom 21.09.2009/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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