Bericht zum Drogenhandel in den Niederlanden:Wie ein Begleitdokument zu "Breaking Bad"

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Im Jahr 2017 wurden in den Niederlanden knapp eine Milliarde Ecstasy-Pillen (MDMA) und mehr als 600 Tonnen Speed (Amphetamine) hergestellt, die auf der Straße 18,9 Milliarden Euro einbrachten. (Foto: Boris Roessler/dpa)
  • Fast täglich ist in den Niederlanden zu lesen von Drogenküchen, die im Süden des Landes ausgehoben werden.
  • Systematisch untersucht wurde das Geschäft mit verbotenen Substanzen allerdings nie. Diese Lücke hat nun ein Bericht der Polizeiakademie geschlossen.
  • Justizminister Ferdinand Grapperhaus spricht von einem "schockierenden" Bericht.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Die Niederlande haben ein Drogenproblem, und dabei geht es keineswegs nur ums Kiffen. Schon vor 20 Jahren sprach ein US-Ermittler von einem "Narko-Staat" an der Nordsee, ein Ausdruck, den die nationale Polizeigewerkschaft neulich wieder aufgriff, um die Politik zu alarmieren. Fast täglich ist zu lesen von Drogenküchen, die im Süden des Landes ausgehoben werden. Systematisch untersucht wurde das Geschäft mit verbotenen Substanzen allerdings nie. Die Lücke hat nun ein Bericht der Polizeiakademie geschlossen, der sich auf Produktion und Handel synthetischer Drogen konzentriert. Sein Ergebnis ist erschreckend - gelinde gesagt.

Die Niederlande liegen, was den Umfang des Geschäfts angeht, weit höher als bisher veranschlagt, an der Weltspitze. Demnach wurden im Jahr 2017 knapp eine Milliarde Ecstasy-Pillen (MDMA) und mehr als 600 Tonnen Speed (Amphetamine) hergestellt, die auf der Straße 18,9 Milliarden Euro einbrachten. Das übertrifft den Jahresumsatz eines Großkonzerns wie Philips und erreicht fast Air France-KLM. Neun Milliarden Euro entfallen auf MDMA, was doch ein bisschen mehr ist als die 160 Millionen, die das "Central Bureau voor de Statistiek" für 2015 errechnet hatte. Die Schätzung im Akademie-Bericht beruht vor allem auf entdeckten Laboren und Treffern von Zollbeamten, die hochgerechnet wurden. Die Annahmen seien sehr vorsichtig, betonen die vier Autoren von der Uni Limburg. Der wahre Wert liege wohl weit höher. Mindestens 80 Prozent der Ware werde exportiert.

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Die Niederländer gelten als zuverlässig und diskret. Zwei Millionen Pillen nach Australien? Werden einfach in einem Traktor versteckt. Der wird dann reklamiert und kommt zurück mitsamt der üppigen Bezahlung. Die für 20 Cent hergestellte Pille erbringt 18 Euro im Verkauf.

Auf 278 Seiten liefert die Untersuchung Einsicht in eine dunkle Welt. En détail, als wäre es ein Begleitdokument zur Serie "Breaking Bad", beschreibt sie, wie das Geschäft läuft: vom Auftrag über die Suche nach einem unauffälligen Ort für das Labor, das Besorgen der Apparate und chemischen Grundstoffe (oft aus China), Anwerbung und Ausbildung der Mitarbeiter (manchmal aus der Chemie, denn MDMA-Kochen ist nichts für Anfänger). Sodann Einschüchterung von Nachbarn und Behörden durch Motorradbanden, der Vertrieb über Mittelsmänner, unauffälliges Beseitigen der Labor-Abfälle.

Dass es so perfekt läuft, hat viele Gründe: Die Niederländer sind große Händler mit weltweiten Verbindungen, Seehäfen und Straßen bilden eine gute Infrastruktur, weshalb sie auch als größtes Einfallstor für Kokain und Heroin in Europa gelten. Traditionell war man nachsichtig bei Drogen, die Grundstoffe für Pillen wurden relativ spät verboten. In den Siebzigerjahren schwenkten Räuber und Schmuggler aus Nord-Brabant und Limburg auf die Amphetamin-Produktion um. Das versprach größere Profite und weniger Ärger mit der Polizei. Noch immer sind die Strafen für die Hersteller die niedrigsten in Europa, es gibt zu wenig Ermittler.

Justizminister Ferdinand Grapperhaus sprach von einem "schockierenden" Bericht. Man wolle mehr Geld ausgeben, um die "beschämende Position" des Landes zu korrigieren.

© SZ vom 28.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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