Belgien:Nacktbaden oder Artenschutz?

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Der FKK-Fan ist zwar nicht ernsthaft vom Aussterben bedroht wie die Haubenlerche, aber er fühlt sich oft genauso an den Rand gedrängt. (Foto: dpa)
  • Ein FKK-Verband in Belgien möchte in der Nähe von Westende einen Strand für Nackte ausweisen lassen.
  • Dem steht aber der Tierschutz entgegen: In dem Gebiet brütet die seltene und hochsensible Haubenlerche, ein Bodenbrüter, der sich schnell vom Menschen bedroht fühlt.
  • Der Umweltministerin zufolge würden die FKK-Fans insbesondere mit ihren "Randaktivitäten" die Vogelart beim Brüten stören.

Von Titus Arnu

Die Haubenlerche (Galerida cristata) ist ein unscheinbares Tier. Sie wird nur 18 Zentimeter groß und 45 Gramm schwer. Der Lockruf des seltenen Vögelchens "ist ein lautes langgezogenes Di-di-drieh, das mit kurzen Pausen vorgetragen wird", wie es in einem ornithologischen Fachbuch heißt. Die Lerche trägt ein dunkelgraues Federkleid und eine Federhaube auf dem Kopf. Der FKK-Freund dagegen trägt überhaupt keine Kleider und schon gar keine Federhaube. Naturisten erkennt man nicht an ihren Lockrufen, sondern an ihrer Gewohnheit, sich hüllenlos im Freien aufzuhalten.

Obwohl die beiden Spezies grundverschieden sind, haben Nacktbader und Haubenlerchen Gemeinsamkeiten: FKK-Vereine beklagen seit Jahren einen Mitgliederschwund, die Zahl der Haubenlerchen sinkt drastisch; der Freikörperkulturfan ist zwar nicht ernsthaft vom Aussterben bedroht wie die Haubenlerche, aber er fühlt sich oft genauso an den Rand gedrängt. Gemeinsamkeiten zu haben, muss aber nicht heißen, dass sie sich in unmittelbarer Nähe zueinander aufhalten können, wie sich nun in Belgien gezeigt hat.

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Dort gibt es offiziell nur einen einzigen Strand, an dem man sich nackt aufhalten darf. An dem 400 Meter breiten Strandabschnitt in der Gemeinde Bredene rücken sich die FKKler ziemlich auf die Pelle, in der Hochsaison sonnen sich dort bis zu 1000 Unbekleidete. Deshalb wollte der belgische FKK-Verband einen weiteren Strand für die Nackten ausweisen lassen, in der Nähe von Westende, das zwölf Kilometer südwestlich von Ostende liegt. Das Gelände sei ideal, weil es keine Gebäude und keinen Deich mit Blick auf den Strand gebe, sagte Verbandssprecher Koen Meulemans. Die Umweltministerin der Region Flandern, Joke Schauvliege, erteilte trotzdem nicht die Genehmigung. Denn: An dem Strand wohnt auch die Haubenlerche.

Der Nacktstrand gefährde die Dünenvegetation und vor allem die Vögel, führte das Umweltministerium zur Begründung an. Umweltministerin Schauvliege zufolge könnten die "Randaktivitäten" der Freikörperkulturliebenden störend auf die Tierwelt wirken. Damit dürften Nackte gemeint sein, die in den Dünen Sex haben. Die Behörde für Artenvielfalt fürchtet also, dass öffentliches Vögeln Vögeln etwas ausmacht. Ist das fachlich überhaupt haltbar? "Zu dem, was die Belgier in den Dünen treiben, kann ich nichts sagen, da bin ich nicht der richtige Fachmann", sagt Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. Zu den Randaktivitäten der Haubenlerche dagegen schon: "Das ist ein sehr seltener Vogel, der in weiten Teilen Europas fast verschwunden ist, eine hochgradig sensible Art." Dass es zu Konflikten zwischen Naturisten und Naturschutz kommt, kann Fiedler durchaus nachvollziehen.

Wo liegt das größere öffentliche Interesse?

Bodenbrüter haben es sowieso schwer, weil ihre Nester von anderen Tieren leicht ausgeraubt werden können. Wenn dann noch Menschen in den Brutgebieten unterwegs sind, wird die Haubenlerche aufgeschreckt, und sie traut sich möglicherweise nicht ins Nest zurück. "Die einzige Lösung in solchen Fällen: Man muss getrennte Bereiche für FKK und für Vögel schaffen", sagt Wolfgang Fiedler. Also ein Zaun, der die Nacktbader von ihren Randaktivitäten in den Dünen abhält? Der Vorschlag, die Nistplätze der Vögel einzuzäunen, stößt allerdings auf Skepsis. Das wäre keine wirkliche Abschreckung, meint der Bürgermeister von Bredene, Steve Vandeberghe: "Als ob ein Mann ohne Kleider nicht über einen Stacheldraht steigen könnte."

Hochgradig sensibel, leicht zu stören: die Haubenlerche. (Foto: Artemy Voikhansky)

Wenn ein übergeordnetes öffentliches Interesse besteht, können seltene Tiere auch mal gegen Menschen verlieren. In solchen Fällen geht es meistens um große Bauprojekte wie Flughäfen, Autobahnen oder Gewerbegebiete. Für ein Pop-Konzert auf dem Gelände des Flughafens Essen/Mülheim sollten kürzlich brütende Feldlerchen umgesiedelt werden, Naturschützer klagten dagegen - und gewannen. Der Singvogel wurde vom Gericht als wichtiger eingestuft als der Sänger mit seinen 84 000 Konzertbesuchern. Ist nun die Textil- und Bewegungsfreiheit der FKK-Fans im öffentlichen Interesse?

"Darüber kann man streiten", findet Ornithologe Fiedler, "man muss immer die Verhältnismäßigkeit abwägen." Was die Nackten in den Dünen treiben, sei aus fachlicher Sicht gar nicht ausschlaggebend, sagt Fiedler. "Schon die pure Anwesenheit von Menschen stört die Bodenbrüter - wenn sie nicht auf den Wegen bleiben, fühlen sie sich bedroht." Natürliche Bewegungen und Geräusche seien den Vögeln dagegen prinzipiell piepegal.

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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