Bahnstreik:"Bitte den Bauch einziehen"

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Tag zwei des Mammutstreiks bei der Bahn: Auf den Bahnhöfen ist es leer, in den Zügen umso voller. Viele sind genervt, dabei sind Streiktage insgesamt nicht häufiger geworden.

Von D. Esslinger, A. Hagelüken und D. Kuhr

Es mögen doch "bitte alle mal kurz den Bauch einziehen", sagt der junge Mann am Dienstagmorgen im Regionalzug in Mönchengladbach. Er weiß, dass jeder Zentimeter Platz gebraucht wird, daher bittet er seine Mitreisenden, enger zusammenzurücken. Diese quetschen sich noch ein bisschen, und am Ende passen tatsächlich alle Fahrgäste in den Zug. Um 6.45 Uhr rollt die Bahn pünktlich in Richtung Düsseldorf los. Es ist Tag zwei im längsten Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn AG. Bundesweit fielen am Dienstag Fern-, Regional- und Güterzüge aus. Bis Sonntag, neun Uhr, hat die Lokführergewerkschaft GDL ihre Mitglieder zum Streik aufgerufen. Es ist bereits der achte Streik in diesem Tarifkonflikt - da drängen sich natürlich ein paar Fragen auf.

Ist der Bahnverkehr lahmgelegt?

Nein. Bislang ist auch kein Chaos ausgebrochen, da offenbar viele Fahrgäste rechtzeitig auf andere Transportmittel umgestiegen sind. Der Ersatzfahrplan der Bahn laufe "stabil", teilte das Unternehmen mit. Im Fernverkehr sei am Dienstag fast jeder dritte Zug gefahren und im Nahverkehr je nach Gebiet zwischen 15 und 60 Prozent. Besonders im Osten hatte die Bahn mit Problemen gerechnet, weil es dort weniger beamtete Lokführer gibt und die Streikbereitschaft normalerweise groß ist. Doch diesmal seien auch im Osten mehr Mitarbeiter zur Arbeit erschienen als erwartet, sodass mehr Züge fahren konnten.

Die Informationspflicht gilt immer: Bahnreisende am Flughafen Köln. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Ist irgendeine Lösung in Sicht?

Bahn-Chef Rüdiger Grube will an diesem Mittwoch der GDL "einen Vorschlag zur Befriedung der Lage unterbreiten", kündigte er in der Bild-Zeitung an. Wie dieser aussieht und vor allem ob er helfen wird, ist noch offen. Im Moment sind die Fronten zwischen Bahn und GDL verhärtet. Der Ruf nach einer Schlichtung verfing bei GDL-Chef Claus Weselsky bisher nicht. Er besteht darauf, dass seine Gewerkschaft das Recht hat, für alle ihre Mitglieder einen Tarifvertrag abzuschließen, also nicht nur für Lokführer, sondern auch für Zugbegleiter oder Lokrangierführer - auch wenn dort die größere Eisenbahngewerkschaft EVG die Mehrheit hat.

Wie sieht die Streikkasse der GDL inzwischen aus?

Die GDL kann auf zwei Kassen zurückgreifen: ihre Streikkasse und den Aktionsfonds des Beamtenbundes, des Dachverbandes, dem sie angehört. Zu Beginn dieses Tarifkonflikts zahlte die GDL noch kein Streikgeld. Später erstattete sie den Streikenden pro Tag 50 Euro ihres Verdienstausfalls, inzwischen zahlt sie 75 Euro pro Tag - das ist in etwa die Hälfte dessen, was ein Lokführer regulär verdienen würde. Will die GDL sich Kosten vom Beamtenbund erstatten lassen, muss sie einen Antrag stellen. Die Unterstützung ist aber durch den Dachverband gedeckelt: Er gewährt pro Streikendem und Streiktag maximal 50 Euro. Der Aktionsfonds wird aus Mitgliedsbeiträgen und dem Vermögen des Beamtenbunds gespeist: Der Dachverband hält Aktien und finanziert sich zu einem guten Teil aus deren Erträgen.

Wird generell mehr gestreikt als früher? In den vergangenen drei Jahren gab es zwar insgesamt mehr Streiktage als in den Jahren zuvor. Damals lief die Konjunktur infolge der Finanzkrise schlecht und die Arbeitnehmer hielten sich mit Forderungen zurück. Es wurde aber erheblich weniger gestreikt als etwa 2006 und 2007, als parallel Metaller und der öffentliche Dienst die Arbeit niederlegten. Der Grund, weshalb man den Eindruck hat, es gebe deutlich mehr Streiktage als je zuvor, mag wohl in den streikenden Berufsgruppen liegen: Dienstleister wie Lokführer, Flughafenpersonal oder Erzieher gehen häufiger in den Ausstand, was die Bürger sofort zu spüren bekommen. "Beinahe vervierfacht" allerdings hat sich seit dem Jahr 2000 die Anzahl der Streiks, sagt Heiner Dribbusch vom gewerkschaftsnahen WSI-Institut. Das liege zum Beispiel daran, dass in einer Branche mehr unterschiedliche Gewerkschaften aktiv sind. Früher waren fast alle Lokführer Beamte und fast alle Krankenhäuser staatlich organisiert, heute verhandeln für die Bahnbediensteten EVG sowie GDL, und es gibt private Kliniken mit eigenen Tarifgesprächen. Zudem richtet sich eine zunehmende Zahl von Firmen gar nicht mehr nach bundesweiten Tarifverträgen, so dass es wie bei Amazon zu individuellen Arbeitskämpfen kommen kann. Privatisierung, Ausgliederung und Tarifflucht, mit denen Unternehmen Kosten sparen wollen, können also zu mehr Streiks führen.

Haben wir französische Verhältnisse?

Nein. In Frankreich fielen in der vergangenen Dekade im Schnitt neun Mal so viele Arbeitstage aus wie in Deutschland, in Dänemark acht Mal so viele und in Spanien vier Mal so viele. Das liegt daran, dass in Deutschland Betriebsräte oft Konflikte klären, die in anderen Ländern zum Ausstand führen. Zudem gibt es eine lange Tradition des Konsenses zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, die Flächentarifverträge für die meisten Beschäftigten einer Branche vorsehen. Allerdings wird dieser Konsens mehr und mehr infrage gestellt, weil er manchen Unternehmern zu teuer ist.

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(Foto: SZ-Grafik)

SZ-Grafik; Quelle: Nationale Statistiken, WSI

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(Foto: SZ-Grafik)

SZ-Grafik; Quelle: WSI, Hans-Böckler-Stiftung

Kann man die Streiks verhindern?

Andere Länder haben strengere Regeln für Ausstände bei sensiblen Dienstleistungen. In Italien müssen Bahnstreiks zehn Tage vorher angekündigt werden. In Frankreich gilt eine Frist von 48 Stunden, die es der Bahn erleichtert, Ersatzverkehr vorzubereiten. Außerdem müssen sich die Parteien dort ausführlich zusammensetzen, bevor die Eisenbahner in den Ausstand gehen dürfen. In Deutschland dürfte das geplante Gesetz zur Tarifeinheit Streiks bei sensiblen Dienstleistungen erschweren, weil dann vorrangig der Tarifvertrag jener Gewerkschaft gilt, die in einem Betrieb mehr Mitglieder hat. Das wäre bei der Bahn die EVG - statt der GDL.

Welche Schäden verursachen die Streiks? Forscher des ifo-Instituts und der Universität Passau haben Verkehrsstreiks in deutschen Großstädten untersucht. Ihr Fazit: An jedem Streiktag verlängert sich die Fahrzeit im Durchschnitt um fast zehn Prozent, die Zahl der Verkehrsunfälle steigt um 14 Prozent und es kommen elf Prozent mehr kleine Kinder mit Atemproblemen ins Krankenhaus. In der zusätzlichen Fahrtzeit von 92 000 Stunden pro Streiktag könnten Waren im Wert von fast fünf Millionen Euro produziert werden.

© SZ vom 06.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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