Idar-Oberstein:"Ich war wie in einem Film, aus dem ich keinen Ausweg fand"

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Mario N. versteckt sein Gesicht nicht hinter Aktenordnern, wie es Angeklagte häufig machen. (Foto: SEBASTIAN GOLLNOW/AFP)

Mario N. hat einen Tankstellenmitarbeiter erschossen, der ihn auf die Maskenpflicht hinwies. Am zweiten Prozesstag verliest sein Anwalt ein Geständnis. Eine Ursache für seine Tat sei der Alkohol.

Von Max Ferstl, Bad Kreuznach

Sie hatten gegrillt an jenem Abend, seine Freundin und er. Mario N. nennt sie "meine Frau", obwohl die beiden nicht verheiratet sind. Die Stimmung soll gut gewesen an dem Samstag im September 2021, es gab Steak und Saté-Spieße. Mario N. trank Bier, sieben oder acht Dosen, so erzählt er es, dazu noch ein paar Schluck von dem Süßwein, den sie aus Griechenland mitgebracht hatten. Später sollen es dann noch ein paar Dosen Bier mehr geworden sein. Der Alkohol wird noch wichtig werden in diesem Prozess.

Freitagvormittag, Landgericht Bad Kreuznach. Als Mario N. von den Justizbeamten zu seinem Platz im Gerichtssaal geführt wird, versteckt er sein Gesicht nicht hinter Aktenordnern, wie es Angeklagte häufig machen. Bei Mario N. haben die Fotografen freien Blick.

Offen sein, nichts verbergen, das ist auch seine Strategie an diesem zweiten Verhandlungstag. Mario N. wird viel reden. Über seinen Verteidiger wird er gestehen, nach dem Grillen den Kassierer Alexander W. an der Tankstelle in Idar-Oberstein erschossen zu haben, weil der ihn auf die Maskenpflicht hinwies. Er wird mitteilen lassen, dass er die Tat bereue. Und Mario N. wird Fragen des Gerichts beantworten.

Das Schlimmste war für Mario N. die Maskenpflicht

Die Staatsanwaltschaft hat den 50-Jährigen wegen Mordes angeklagt. Mario N. habe seinen Frust über die Corona-Maßnahmen auf den Kassierer projiziert, heißt es in der Anklage. Er habe ein Zeichen setzen wollen. Und deshalb schwebt nun diese Frage über dem Prozess: Wie kann es sein, dass jemand Bier kaufen geht und kurz darauf einem Menschen ins Gesicht schießt, wegen unterschiedlicher Ansichten über das Tragen einer Maske? Wie erklärt man das?

Der Verteidiger liest nun im Gerichtssaal das Geständnis von Mario N. vor. Er beginnt mit einer Entschuldigung, Mario N. bereue die Tat und wisse um die Schuld, die er auf sich geladen habe. Eine Erklärung habe er allerdings nicht für den tödlichen Schuss, Mario N. könne "nur Ursachen nennen".

Da seien die Corona-Schutzmaßnahmen, die ihn zermürbt hätten. Da seien die Umsätze, die dem Software-Entwickler durch die Pandemie wegfielen. Da sei der Suizid des Vaters 2020, der seiner Mutter zuvor in den Kopf geschossen und sie schwer verletzt habe. Das Schlimmste aber "war die Maskenpflicht", teilt Mario N. über seinen Anwalt mit. Er sei Asthmatiker, seine Luftröhre sei seit der Geburt verengt. Wenn er während der Pandemie Einkaufen ging, habe er sich immer beeilen müssen. Sonst hätte er Panik bekommen.

Einsam vor dem Computer, auf der Suche nach Informationen

Der Verteidiger trägt die Geschichte eines Menschen vor, der abgedriftet ist, weg vom "tatsächlichen Leben", hinein in eine Welt der Verschwörungsmythen und Corona-Leugner. Mario N. habe das Haus kaum noch verlassen, die freie Zeit vor allem vor dem Computer verbracht. Dort suchte er Informationen über die Gefährlichkeit des Coronavirus. Je mehr er gelesen habe, desto überzeugter sei er von der Sinnlosigkeit der Schutzmaßnahmen gewesen. Die Besuche in den Foren hätten seine "Gewaltbereitschaft genährt".

Dann der Grillabend, das Bier, der Wein. Betrunken sei er zur Aral-Tankstelle in Idar-Oberstein gefahren, um neues Bier zu kaufen. Er habe bei dem Kassierer um Verständnis gebeten, das Asthma. Doch weil der Student weiterhin auf der Maske bestand, habe sich Mario N. wie ein Idiot gefühlt. Zuhause habe ihn die Situation nicht losgelassen. "Ich war wie in einem Film, aus dem ich keinen Ausweg fand."

Während sein Verteidiger redet, richtet Mario N. den Blick auf den Tisch vor sich, den Kopf hat er auf die Hände gestützt. Er schaut nicht rüber, auf die andere Seite des Gerichtssaals. Dort sitzt die Mutter des Opfers als Nebenklägerin und weint stumm, als der Verteidiger das Geständnis vorliest. Wie Mario N. ein zweites Mal zur Tankstelle fuhr, wie er sich die Maske herunterzog - und dann ihren Sohn erschoss.

Nur einmal bricht dem Angeklagten die Stimme

Der Verteidiger sagt, dass Mario N. überzeugt davon sei, dass er die Tat "niemals in einem nüchternen Zustand begangen hätte". Der Alkohol also. Als die Vorsitzende Richterin nachfragt, kann man einen leisen Zweifel hören. Auf den Videos der Überwachungskamera der Tankstelle sei nicht zu erkennen, dass er wanke. Das tue er grundsätzlich nicht, sagt Mario N. Er finde aber, dass er mit Blick auf seinen Pegel besser zu Hause geblieben wäre.

Mario N. sagt das in sachlichem Tonfall. Nur zwei Mal bricht die Stimme. Als die Vorsitzende Richterin fragt, ob er nach dem Schuss nicht nochmal nachschauen wollte, wie es dem getroffenen Studenten gehe. Ob er sicher gewesen sei, dass der junge Mann das nicht habe überleben können. Da stockt Mario N. Er habe nur den Kopf verschwinden sehen, das Blut. "Da waren gar keine Gedanken." Dann sagt er erst mal nichts mehr.

Am späten Nachmittag nimmt dann die Mutter auf dem Zeugenstuhl Platz, eine große Frau, die braunen Haare zu einem lockeren Knoten gebunden. Mit bebender Stimme erzählt sie, wie sie an jenem Abend früh ins Bett gegangen sei. Wie sie über eine Whatsapp-Gruppe mitbekam, dass etwas passiert sei. Wie sie zur Tankstelle fuhr, die Polizei, der Krankenwagen. Noch bevor sie wusste, dass es ihr Sohn war, der erschossen wurde, seien auf Facebook die ersten Beileidsbekundungen eingetroffen.

Die Mutter sagt, dass nicht nur das Leben ihres Sohnes zerstört sei, sondern dass auch die Familie nun damit leben müsse. Mit den Albträumen. Manchmal glaubt sie nachts zu hören, wie die Haustür aufgehe. Dann denkt sie, dass Alexander nach Hause komme.

Sie könne das nicht verzeihen, sagt die Mutter. Diesmal schaut Mario N. sie an, Tränen im Gesicht. Das zweite Mal ringt er an diesem Tag um Worte. Leise sagt er, dass es ihm leid tue. Und dass er Vergebung nicht von ihr erwarten könne.

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