Porträt:Die Nummer seines Lebens

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Verbindet die Zauberkunst der Manipulation mit klassischer Jonglage und Ausdruckstanz: Lukas Brandl. (Foto: Robert Haas)

Zirkusartist, Schauspieler und Magier: Der 27-jährige Münchner Lukas Brandl ist frisch gekürter Deutscher Meister der Zauberkunst.

Von Barbara Hordych, München

Auch wenn man nicht weiß, dass der 27 Jahre alte Münchner Lukas Brandl frisch gekürter Deutscher Meister der Zauberkunst ist, wird eines sofort spürbar: Diese konzentrierte Energie, die er tief aus seinem Inneren hervorzuholen scheint, und mit der er sein Gegenüber direkt in Bann zieht. Dafür muss er gar nicht als alienhaftes Wesen auf der Bühne stehen, dafür reicht auch eine ganz alltägliche Situation, in der er einem mit einem Glas Pfefferminztee im Café gegenübersitzt. "Dass ich Chancen auf den dritten Platz habe, vermutete ich. Wenn es ganz toll läuft, reicht es sogar für den zweiten Platz, dachte ich mir - aber auf dem ersten Platz zu landen, damit habe ich wirklich nicht gerechnet", sagt Brandl.

In seiner Performance, mit der er jüngst beim Wettbewerb zur Deutschen Meisterschaft der Zauberkunst, ausgerichtet in Fürstenfeldbruck vom Magischen Zirkel von Deutschland, reüssierte, kombiniert er die Zauberkunst der Manipulation - die ganz ohne Apparate und nur mit reiner Fingerfertigkeit ausgeübt wird - mit klassischer Jonglage und Ausdruckstanz: Erst ein, dann zwei bis schließlich zwölf weiße Bälle sind es, die er auf der Bühne aus dem Nichts aufscheinen und wieder verschwinden lässt. Dabei inszeniert er sich nicht als Herr der Bälle, sondern als jemand, der vom Eigenleben der Objekte um ihn herum überrascht wird. Assoziationen zu Goethes Ballade vom Zauberlehrling, der die herbeigerufenen Geister beziehungsweise Besen und Wasser nicht mehr los wird, stellen sich ein. "Die zu Grunde liegenden Themen sind Kontrolle und Kontrollverlust, damit kämpfe ich als Bühnenfigur", sagt Brandl über seine Darbietung.

Nackter Oberkörper und eine besondere Hose: Er bricht mit dem Klischee des Zauberkünstlers

Sie ist so etwas wie die Nummer seines Lebens. Erarbeitet hat er sie sich für die Abschlussprüfung an der "Codarts University of the Arts", der Zirkusschule in Rotterdam, wo er 2019 sein vierjähriges Studium beendete. Zur Ausbildung gehörte auch der Kostümentwurf für eben diese Nummer. "Meine Idee war, mit dem Klischee eines Zauberkünstlers zu brechen: also kein Glitzerjackett und kein Frack", sagt Brandl. Stattdessen präsentiere er sich "wild" mit nacktem Oberkörper. Und einer sehr besonderen Hose.

"Als das Konzept stand, war mir beim ersten Grundschnitt noch mein früherer Handarbeitslehrer in München behilflich", sagt Brandl. Er besuchte die Waldorfschule in Daglfing, und da gehörten eben nicht nur die Zirkuskünste, sondern auch das Nähen zu den Unterrichtsfächern. Die "Patches", die Flicken auf der Hose, ließ er sich dann später nach den Entwürfen maßschneidern. Und nähte sie selbst auf die Hose.

Mit der fertigen Nummer wollte er schon 2020 bei der alle drei Jahre stattfindenden Fachmesse "Magica" und dem zugehörigen Zauber-Wettstreit antreten. Doch die wurde aus den bekannten Gründen verschoben. Bis es dann zwei Jahre später, in diesem Mai, endlich soweit war. Fürstenfeldbruck wurde zur Hauptstadt der Magie, rund 40 Magier und Magierinnen, die Besten ihrer Zunft, traten in neun Sparten gegeneinander an. Weitere 650 Zauberkünstler aus sieben europäischen Ländern waren zur Messe angereist, denn die ist auch eine wichtige Plattform für Talente und solche, die sie suchen. Für Brandl hätte es nicht besser laufen können: Schon am Tag seiner Vorführung kam ein französisches Künstlerpaar auf ihn zu, um ihn für ihr Tournee-Unternehmen zu engagieren: Mit "Vive la Magie" wird er von Oktober an durch 16 Städte in Frankreich reisen.

Kontrolle und Kontrollverlust: Mit seiner Abschlussnummer an der Zirkusschule in Rotterdam gewann Lukas Brandl in Fürstenfeldbruck den Titel "Deutscher Meister der Zauberkunst". (Foto: Michelle Spillner/Magischer Zirkel von Deutschland/dpa)

Bei der Abschlussveranstaltung des Festivals, einer öffentlichen Gala, hatten die "Muggels" das Nachsehen: Eigentlich zeigen da die prämierten Zauberkünstler und Zauberkünstlerinnen ihre Gewinner-Kunststücke. "Aber mich hatte wohl niemand auf der Rechnung, deshalb wurde ich erst nach dem Sieg für einen Auftritt bei der Gala angefragt", amüsiert sich Brandl. Doch da musste er wegen anderer Termine bereits abreisen. Nun, wer will, kann ihn ja bald in Frankreich erleben.

Und was ist mit seiner alten und wieder neuen Heimatstadt München? Hier reüssierte er schon als Schüler beim "Talents"-Wettbewerb des Gop-Variete-Theaters mit seinem Schulkameraden Kolja Huneck mit einer Darbietung, in der sie den Schulalltag mit einer Jonglage von Bällen und Büchern gehörig auf den Kopf stellten. "Ich bin nach meinem Abschluss in Rotterdam hierher zurückgekehrt, weil München zwar nicht gerade eine Zirkusstadt ist. Doch in letzter Zeit tut sich hier erfreulicherweise einiges in Sachen zeitgenössischer Zirkus, mit Förderprogrammen für Projekte".

Die Bälle standen von Anfang an im Fokus: 2014 gewannen Lukas Brandl (links) und sein Klassenkamerad Kolja Huneck mit ihrer Schulbank-Performance beim Jugendwettbewerb "Talents" im Gop. (Foto: Karl Obermayr)

Die Zeit der Pandemie überbrückte er mit Unterricht, den er als Trainer beim Schwabinger "Circus Leopoldini" von Dorothea Auer gab. Selbst im Lockdown, als gar nichts mehr ging, bot Brandl sein "Mobilitätsprogramm" wie er es nennt, online für das Projekt der Rudolf-Steiner-Schule an - dreimal in der Woche, pünktlich um 9 Uhr, zum Aufwachen. Parallel plante er sein Filmprojekt, in dem er als Bühnenfigur auftritt, Magie und Zirkuskünste verbinden will. Das Konzept für den Kurzfilm steht, die Regie sollen aber andere führen, "ich muss mich ja auf die Darstellung konzentrieren können". Erfahrungen als Schauspieler hat er seit einigen Jahren, er ist bei der renommierten Agentur Walcher unter Vertrag. Häufig hat er schon in HFF-Projekten mitgewirkt, gerade hat er für das ZDF eine Folge von "Der Alte" abgedreht, für die RTL-Soap "Alles was zählt" war er als Eiskunstläufer im Einsatz. "Das funktionierte, weil ich früher im Verein Eishockey spielte und an der Zirkusschule auch Unterricht im Tanz hatte", sagt Brandl.

Zwar ist Brandl mit seinen schulterlangen dunkelblonden Haaren, den strahlend blauen Augen und der athletischen Statur ausgesprochen telegen. Doch ihn auf sein gutes Aussehen zu reduzieren, griffe zu kurz. Zudem es für ihn vielmehr die Visionen sind, die zählen. "Ich träume davon, die Zauberkunst und den Zirkus im Film auf ganz moderne Weise, aber ohne Tricktechnik, zu verbinden." Wer erlebt hat, wie viel Ausdauer und Energie er in die Nummer seines Lebens investiert hat, ist überzeugt: auch dafür hat er den erforderlichen langen Atem.

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