Bevölkerungsboom:Wachstum mit Augenmaß

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Die Bevölkerungszahlen in der Region München werden steigen und auch das Umland vor Herausforderungen stellen. Im Oberland setzt man auf Verdichtung in den Zentren, eine Zersiedelung soll vermieden werden

Von Kathrin Müller-Lancé, Bad Tölz-Wolfratshausen

Anziehungskraft: Es gibt im Landkreis schöne Flecken, so wie hier im Münsinger Ortsteil Holzhausen, mit Zwiebelturm-Kircherl und Zugspitze. Immer mehr Menschen siedeln sich in den Gemeinden im Norden und im Süden an. Deren Entwicklung soll mit Hilfe der Regionalplans gelenkt werden. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Bevölkerung in München wächst - und mit ihr der Siedlungsdruck auf das Umland. Die Konsequenzen sind bekannt: höhere Quadratmeterpreise, steigende Mieten, Wohnraummangel. Wie lässt sich der Siedlungsdruck am besten lenken? Wie viel Wachstum vertragen welche Kommunen? Diese Fragen beschäftigen seit Jahren auch die Gemeinden im Landkreis.

Kürzlich stellte der Regionale Planungsverband München die jüngsten Vorausberechnungen des Bayerischen Landesamts für Statistik vor: Ihnen zufolge soll die Bevölkerung der Region München zwischen 2019 und 2039 um 220 000 Einwohner zunehmen. Das wäre zwar immerhin weniger als bisher angenommen, im Jahr 2016 wurde noch ein Zuwachs von 345 000 Einwohnern innerhalb von 20 Jahren prognostiziert. Aber es würde dennoch ein Plus von 7,7 Prozent bedeuten.

Die Einwohnerzahl im Landkreis soll bis 2039 auf 136 000 steigen - um 6,4 Prozent

Auch für den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen sagt die Prognose des Landesamtes für Statistik Wachstum voraus: Von etwa 128 000 Einwohnern im Jahr 2019 auf etwa 136 000 im Jahr 2039. Das wäre ein Anstieg von 6,4 Prozent. "Wir wissen um dieses Wachstum", sagt Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler). Während bis vor zehn Jahren vor allem der Norden um Geretsried und Wolfratshausen neue Einwohner angezogen habe, sei mittlerweile der gesamte Landkreis betroffen. "Lenggries und Bad Tölz sind inzwischen mit einem ähnlichen Wachstumspotenzial konfrontiert, weil sie von München aus gut mit der Bahn erreicht werden können."

Josef Niedermaier ist Landrat von Bad Tölz-Wolfratshausen. (Foto: Manfred Neubauer)

Per se sieht der Landrat in dem Bevölkerungswachstum nicht nur Probleme: "Wenn man das hört und unbedarft ist, denkt man vielleicht erst mal: Das darf nicht passieren. Aber die Frage ist ja auch, welche Bedürfnisse dieses Wachstum bedient." Niedermaier betont, dass der Zuzug auch notwendig sei, um den Bedarf an Arbeitskräften im Landkreis zu decken. "Ein Großteil unseres Wohlstands ist auf diesem Wachstum aufgebaut."

Tatsächlich wird sich laut den Vorhersagen nicht nur die Größe, sondern auch die Altersstruktur der Bevölkerung verändern - im Landkreis sogar noch stärker als in der Region München. In den kommenden 20 Jahren wird das Durchschnittsalter in Bad Tölz-Wolfratshausen den Berechnungen des Landesamts für Statistik zufolge von 44,4 Jahren auf 46,5 Jahre steigen. Die Gruppe der über 65-Jährigen wird um 36,5 Prozent zunehmen, die der unter Dreijährigen um sieben Prozent abnehmen. Das heißt: Die Gesellschaft wird immer älter, die Zahl der Rentnerinnen und Rentner immer größer. Da immer noch mehr Menschen sterben als geboren werden, würde die Bevölkerung im Landkreis ohne Zuzug sogar schrumpfen. "Wer, wenn nicht Zugezogene, erbringt die ganzen Dienstleistungen, die die im Ruhestand Befindlichen abrufen wollen?", fragt Landrat Niedermaier.

Bleibt die Frage, wie der Landkreis mit dem Bevölkerungswachstum umgehen will. Dass der Siedlungsdruck auch Probleme mit sich bringt, besonders in Sachen Wohnraum, leugnet auch Niedermaier nicht, der gleichzeitig Vorsitzender des Planungsverbandes der Region Oberland ist. "Es werden nicht mehr alle - wie es in den letzten Generationen das Ziel war - in einem Einfamilienhaus wohnen können." Auch im ländlichen Raum müsse man künftig über Verdichtung nachdenken. "Das heißt natürlich nicht, dass man irgendwo in ein Dorf ein sechsstöckiges Hochhaus stellt", sagt Niedermaier. "Aber man kann schon auch drei oder vier Stockwerke im ländlichen Stil bauen." Der Landrat verweist dazu auf den sogenannten Regionalplan, der gerade vom Planungsverband Oberland fortgeschrieben wird. Dabei handelt es sich um eine Art Flächennutzungsplan, der die Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen, Weilheim-Schongau, Garmisch-Partenkirchen und Miesbach umfasst. Er legt zum Beispiel fest, wo Mittelzentren entstehen sollen - aber auch, wo Natur und Landschaft besonders geschützt werden müssen. Seit Anfang dieses Jahres sind die Kommunen aufgefordert, sich Gedanken über ihre Entwicklung zu machen. In "Steckbriefen" können sie ihre Wunsch-Entwicklung beschreiben und ihr Wachstum in einer Karte getrennt nach Gewerbe- und Wohnbebauung grob skizzieren. "So wollen wir ein Gefühl dafür bekommen, was die Region eigentlich abarbeiten kann", sagt Niedermaier.

Eines der wichtigsten Ziele bei der Fortschreibung des Regionalplans sei es, Zersiedelung zu vermeiden. "Es bringt nichts, wenn irgendwo mitten in der Landschaft Siedlungen mit 500 neuen Wohnungen entstehen." Das schaffe nur die Verkehrsprobleme von morgen. Stattdessen ergibt es Niedermaier zufolge es mehr Sinn, "Hauptorte" wie Geretsried, Wolfratshausen oder Lenggries weiter zu verdichten: "Die Gemeinden, die an den Verkehrsachsen liegen, können das Wachstum am verträglichsten auf sich nehmen."

Noch bis Ende des Jahres haben die Kommunen im Planungsverband Zeit, ihre Steckbriefe abzugeben. Dann geht es an die Auswertung. "Da braucht es schon einen guten Konsens", sagt Landrat Niedermaier.

© SZ vom 24.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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