Konzert in voller Besetzung:Very british

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Mit Cellist Jakob Spahn hat das Philharmonische Orchester Isartal einen kongenialen Partner gefunden. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das Philharmonische Orchester Isartal gestaltet mit Solocellist Jakob Spahn einen Abend mit musikalischen Perlen aus dem Vereinigten Königreich.

Von Paul Schäufele, Wolfratshausen

Selbst, wer nicht als erstes an die "Ritter der Kokosnuss" denkt, wird zugeben: Die Bewohner des Vereinigten Königreichs haben ihre Eigenheiten. Vielleicht liegt es am Wetter, vielleicht an der Küche, wohl eher aber an der Lage der Insel, die vom Rest Europas aus gesehen im wahrsten Sinne des Wortes exzentrisch ist. Für die Musikgeschichte gilt das nicht weniger. Zwei Takte, und man erkennt die "britishness". Das Philharmonische Orchester Isartal und sein Chefdirigent Henri Bonamy haben sich dieser Musiktradition angenommen, um die Rückkehr auf die Bühne zu feiern - zum ersten Mal nach zwei Jahren in voller Besetzung. Gleichzeitig nutzte das Orchester die Gelegenheit, um eine Reaktion auf den Krieg in der Ukraine zu formulieren. Das Konzert ist mit einem Spendenaufruf an die Osteuropahilfe verbunden, die seit mehr als dreißig Jahren Bedürftige in den Staaten des ehemaligen Ostblocks unterstützt, so auch in Brody in der Westukraine, mit Wolfratshausen durch eine Städtefreundschaft verbunden.

Mit Jakob Spahn haben die Isartal-Philharmoniker einen hochkarätigen Partner zur Unterstützung gefunden. Spahn ist Solocellist des Bayerischen Staatsorchesters, zudem unterrichtet er als Professor an der Nürnberger Musikhochschule. Und er enttäuscht nicht, obwohl Edward Elgars Cello-Konzert immer ein Wagnis ist, wegen der legendären Aufnahmen, die viele im Ohr haben; aber auch, weil es wenige Konzerte gibt, die eine so schlichte Form mit höchsten Anforderungen an den Solisten verknüpfen und obendrein eine enorme Ausdrucksfähigkeit des begleitenden Orchesters verlangen. Von der ersten Note an, dem wuchtigen Bass-Ton, gehen Solist und Orchester eine innige Kommunikation ein. Immer wieder schaut Spahn zu Bonamy, der das Ensemble von Kennern und Liebhabern mit eindeutigen, schlank präzisen Bewegungen dirigiert.

Das Ergebnis ist ein lastend tragischer Kopfsatz, in dem Spahn mit großem, nie aufdringlichem Ton entscheidende Impulse gibt. Auch deswegen ist Spahn die ideale Besetzung für das Philharmonische Orchester Isartal: Weil sein Spiel, bei aller Zurückhaltung nach außen, über einen expressiven Überschuss verfügt, der jeden um ihn berührt, zumal ein aufnahmefähiges Ensemble wie dieses, dem die lange unterdrückte Spielfreude anzuhören ist. Das gilt auch für den wilden zweiten Satz, bei dem sich Orchester und Solist im Tempo bewusst zurückhalten, um den analytischen Zugriff Bonamys nicht zu gefährden. Dem Ausdruck tut das keinen Abbruch, im Gegenteil. Spahn und Bonamy feuern sich mit beinahe jugendlichem Elan an. Doch der kurze langsame Satz wird zum geheimen Zentrum des Konzerts. Solo-Kantilene und Orchester-Begleitung sind intrikat verwoben, gehen organisch ineinander über. Genau hört Spahn darauf, was um ihn geschieht und übersetzt die Tutti-Phrasen seinerseits in edlen Gesang. Das Finale setzt diese ritterliche Gestik in hintergründigen Humor um, was das Isartal-Orchester stilgerecht sekundiert. Bravo-Rufe begleiten Jakob Spahns Verbeugungen, worauf er mit einem hinreißend melancholischen "The Fall of the Leaf" von Imogen Holst antwortet.

Mit einem schweizerisch-britischen Kulturtransfer zeigt das Orchester, dass es auch ohne eminenten Solisten zu großem Ausdruck fähig ist. Frederick Delius' "The Walk to the Paradise Garden" stammt aus der Oper "A Village Romeo and Juliet", modelliert nach Gottfried Kellers Novelle "Romeo und Julia auf dem Dorfe". Das Stück wird präsentiert als orchestrales Intermezzo mit doppeltem Boden. Einerseits bestimmt pastorale Idylle die Szene, anderseits klingt schon das katastrophale Finale durch, denn das Opern-Paar findet sein Ende im Doppelsuizid. Zwischen diesen Polen findet sich das Orchester zurecht, zuverlässig die üppige Melodik verfolgend und die spätromantisch doppeldeutigen Harmonien ausspielend.

Das Schlussstück des Abends rundet das britische Programm geradezu sympathisch ab. Benjamin Brittens "The Young Person's Guide to the Orchestra" ist ein Stück mit pädagogischem Anspruch. Junge Hörerinnen und Hörer sollen einmal alle Gruppen des Orchesters nacheinander vorgeführt bekommen. Eine gute Gelegenheit also, ein Ensemble (wieder) zu entdecken, das so lange pausieren musste. Und so zeigen sich tirilierende Flöten, knallende Pauken, nobel singendes Blech und parlierende Klarinetten auf authentische Weise. Nicht jeder Ansatz ist glasklar, nicht jede Intonation perfekt, doch den Gesamteindruck stört das kein bisschen. Das Philharmonische Orchester Isartal meldet sich zurück, mit Lust am Musizieren und Ausdruckswillen. Da ist es nur richtig, dass am Ende eine schwungvolle Zugabe gebracht wird: Elgars erster "Pomp and Circumstance"-Marsch, nicht ohne Grund eine heimliche Hymne der Briten. Denn diese lebendige Feierlichkeit steckt an, in der Royal Albert Hall wie in der Loisachhalle.

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