Vor Gericht:In Schlangenlinien durch die Nacht

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Eine 57-jährige Ärztin betrinkt sich, weil ihr Mann ein Verhältnis hat. Im Vollrausch fährt sie mit dem Auto und wird verurteilt

Von Benjamin Engel, Wolfratshausen

An die Fahrt im Vollrausch hat die 57-jährige Münchner Ärztin keine Erinnerung. Ende Mai hatte ihr Mann ihr gestanden, dass er eine Freundin habe. Aus Frust kippte sie rund 1,5 Liter Weißwein und fuhr los. Bei einer Baustelle auf der Garmischer Autobahn A 95 bei Murnau rammte sie Warnbaken. Als sich der Gummibelag eines Reifens löste, fuhr sie auf der Felge weiter - in Schlangenlinien von der Ausfahrt Sindelsdorf auf die Bundesstraße 472 bis nach Bad Heilbrunn. Ein entgegenkommender Fahrer konnte gerade noch ausweichen. Auf Höhe der Blombergbahn landete die Frau im Straßengraben. "Ich weiß, dass ich irgendwie eingestiegen bin, aber dann ist der Faden weg", sagte sie am Wolfratshauser Amtsgericht.

Weil die Frau gegen den Strafbefehl Einspruch einlegte, wurde der Fall am Montag öffentlich verhandelt. Der Vorwurf: Unfallflucht und Straßenverkehrsgefährdung. Amtsrichter Helmut Berger verurteilte die Internistin wegen fahrlässigen Vollrauschs zu einer Geldstrafe von 5400 Euro. "Gott sei dank ist außer Sachschäden nichts weiter zu beklagen", erklärte er.

Die Angeklagte und ihr Mann sind seit 1996 verheiratet und leben immer noch zusammen. Am 26. Mai 2017 war der Lehrer gegen 17.30 Uhr aus der Schule nach Hause gekommen. Am Küchentisch beichtete er der Frau die Beziehung zu einer anderen. Es kam zum Streit, bis sich der Mann in sein Arbeitszimmer zurückzog. Die Ärztin griff zu ihrem Kochwein und leerte die Ein-Liter-Flasche ohne Glas. "Weil ich so verzweifelt war", wie sie vor Gericht schilderte. Auch eine zweite Flasche entkorkte sie. Wie viel sie davon getrunken hat, weiß sie nicht mehr. Die zerbrochenen Überreste lagen nach dem Unfall aber im Auto.

Aus der Wohnung in München wollte die Frau nach der Beichte ihres Mannes nur noch weg. Wie ihr Verteidiger erklärte, sei seine Mandantin völlig verzweifelt und "mit den Kräften am Limit" gewesen. Denn sie habe sich zu dieser Zeit auch noch um ihren pflegebedürftigen Vater gekümmert, der inzwischen gestorben sei. Als einziger Ausweg sei ihr erschienen, zu ihrem Wohnwagen bei Seeshaupt zu fahren. Wie die Angeklagte hinzufügte, wisse sie nur noch, dass sie ins Auto gestiegen sei. Am nächsten Tag sei sie im Krankenhaus in Bad Tölz aufgewacht. Darüber wunderte sie sich, weil sie dort noch nie gewesen sei.

Ein Motorradfahrer hatte die Weilheimer Verkehrspolizei im Mai gegen 22.20 Uhr alarmiert. Er hatte gesehen, wie die Angeklagte in Höhe der Ausfahrt Murnau die Warnbaken umgefahren hatte. Dadurch bekam ein weiteres Auto einen platten Reifen, dessen Fahrer auf dem Seitenstreifen halten konnte. Wie einer der alarmierten Verkehrspolizisten berichtete, hätten sie auch das Kennzeichen vom Wagen der Angeklagten gefunden. Wenig später fanden sie in Richtung München den Gummibelag eines Reifens. Danach habe die auf den Asphalt aufschlagende Felge deutliche Spuren in Schlangenlinien hinterlassen. So konnten die Verkehrspolizisten den Weg der Angeklagten verfolgen.

Vor Bichl hatte ein 28-jähriger Landwirt aus dem Nachbarlandkreis auf eine Wagenkolonne aufgeschlossen. Das Auto der Angeklagten an der Spitze sei in Schlangenlinien mal langsamer, mal schneller gefahren. Er überholte und sah die Beschädigungen. Sein Kumpel habe die Polizei angerufen und den Warnblinker eingeschaltet, um den Gegenverkehr zu warnen, schildert er. Vor Bad Heilbrunn habe das Auto auf mehr als Tempo 100 beschleunigt. "Dann sind nur noch Funken geflogen und Teile." Danch fuhr er von der Bundesstraße ab. Am Ortsausgang von Bad Heilbrunn kam die Angeklagte ohne Licht auf der Gegenfahrbahn. Ein 22-jähriger Autofahrer konnte gerade noch in eine Abbiegespur ausweichen. Als die Frau kurz darauf im Straßengraben landete, zogen andere Autofahrer aus ihrem Auto. Nach Zeugenschilderungen war sie nicht ansprechbar.

Zwei Stunden nach der Unfallfahrt stellten Ärzte im Tölzer Krankenhaus 1,77 Promille Alkohol fest. Im Gericht reagierte die Angeklagte emotional. "Ich finde sehr schlimm, was ich gemacht habe", sagte sie. Als Notärztin habe sie schon viel gesehen und könne ihr Verhalten nicht verstehen. Noch zehn weitere Monate bleibt ihr Führerschein entzogen.

© SZ vom 30.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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