SZ-Adventskalender:Wieder Freude finden

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Im Inselhaus in Eurasburg kommen geflohene Mädchen aus Äthiopien und Eritrea zur Ruhe. Sie versorgen sich selbst und wünschen sich einen Geschirrspüler

Von Felicitas Amler, Eurasburg

Im gemeinsamen Aufenthaltsraum der Wohngruppe "Malala" steht ein großer beleuchtbarer Globus. Die 16- und 17-jährigen Mädchen könnten auf ihm zeigen, woher sie stammen: die einen aus Äthiopien, die anderen aus Eritrea. Theoretisch könnten sie auf dem Globus auch den Weg anschaulich machen, den sie von ihrer Heimat bis nach Deutschland zurückgelegt haben. Doch das würde nur geschehen, wenn sie selbst es wollten. Die Betreuerinnen der Wohngruppe bei der Inselhaus-Kinder- und Jugendhilfe rühren nicht ungefragt an den Traumata der Mädchen. Und der Fluchtweg ist in jedem Fall ein Trauma.

Eines der Mädchen, die seit einem Jahr in Eurasburg leben, war zuvor zwei Jahre lang unterwegs. Eine andere wollte sich eigentlich nur von ihrem Heimat- ins Nachbarland retten, bekam aber unterwegs den Anruf eines Verwandten, sie solle unbedingt weitergehen - bis nach Europa. Kaum vorstellbar, wie sich eine 15-Jährige über Tausende Kilometer Landweg durchschlägt und die berüchtigte Fahrt übers Mittelmeer schafft. Wenn sie nun in der Gruppe mit einem Besucher zusammensitzen, wirken sie wie ganz normale 16- und 17-Jährige: sportlich gekleidet, ein bisschen geschminkt, die Fingernägel sorgsam lackiert, manche haben die Haare kunstvoll geflochten, die meisten tragen Schmuck in Form eines Kreuzes - sie sind alle orthodoxe Christinnen. Ein bisschen schüchtern sind sie und wortkarg - wenn sie mit einer fremden Person Deutsch sprechen müssen. Aber sie scherzen und lachen miteinander. Die Frage, welche Namen sie sich für die Zeitung geben möchten, damit ihre Identität nicht preisgegeben wird, macht ihnen Spaß: Feben, Mona Lisa, Johanna und Helen.

Sportlich gekleidet, ein bisschen geschminkt, die Fingernägel lackiert: Die Mädchen aus Eritrea und Äthiopien sind allein nach Europa geflohen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Inselhaus ist eine der wichtigen Einrichtungen im Landkreis, die unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Mädchen und Jungen, aufgenommen haben und pädagogisch betreuen. Geschäftsführerin Angelika Schmidbauer hat der Mädchengruppe den Namen "Malala" gegeben - als Reverenz an die pakistanische Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai, die 2014 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Frieden ist ein elementarer Begriff für die Arbeit mit den jungen Frauen, genauso wie Zeit und Geduld. Wenn Teamleiterin Annika Müller und Pädagogin Laura Seibt drei Wünsche an eine Fee frei hätten, stünde an erster Stelle, dass die Mädchen so lange in ihrer Obhut bleiben können, wie es nötig ist. "Dass sie nicht raus müssen, sobald sie achtzehn sind." Denn rein rechtlich ist das zu gewärtigen. "Frustrierend, demotivierend und traurig" nennen die beiden Fachfrauen das - für Betreute wie Betreuerinnen: "Wir stecken da ja auch Herzblut rein."

Aber noch ist Zeit. Und die verbringen die Mädchen tagsüber zunächst einmal mit Schulunterricht; die einen gehen in die Mittelschule Wolfratshausen, die anderen nach Geretsried oder in eine Klasse für Asylbewerber an der Tölzer Berufsschule. Bildung ist im Konzept des Inselhauses das A und O. Auch Deutschunterricht außerhalb der Schule ist wichtig, hie und da wird ein Angebot der Volkshochschule oder der Arbeiterwohlfahrt genutzt. Aber die Mädchen brauchten deutlich mehr Sprachförderung, da sind sich die Betreuerinnen einig; Spenden könnten helfen. Und das wäre Wunsch zwei auf der Feenliste: "Ein angepasstes Bildungsangebot, damit sie eine Chance auf eine Ausbildung haben."

Feben weiß auch schon genau, was sie werden möchte: "Krankenschwester." Die Betreuerinnen können sich das gut vorstellen, es passe zu der aufgeweckten und fürsorglichen kleinen Person. Die anderen haben selbst noch keine Idee, welchen Beruf sie anstreben könnten. Umso wichtiger wäre es - Wunsch Nummer drei an die imaginäre Fee -, dass Wirtschaftsbetriebe Flüchtlingen Praktikumsplätze anbieten. "Mehr Mut!", so appellieren die Pädagoginnen an Unternehmen, auch für Asylbewerber offen zu sein, um ihnen den Übergang von der Schule in den Beruf zu erleichtern.

Im Alltag der Mädchen gibt es noch ein paar praktische Dinge, die sich womöglich mit Spenden der SZ-Leser erfüllen ließen. Eine Geschirrspülmaschine fehlt - die Gruppe versorgt sich selbst; Kochen haben alle schon früh zu Hause gelernt, oft mussten sie dort den ganzen Haushalt schmeißen.

In der Freizeit können sie im Inselhaus an der Reittherapie teilnehmen, sie gehen dank großer Unterstützung der Wasserwacht Wolfratshausen einmal in der Woche nach Ascholding zum Schwimmen, sie schauen Musikvideos oder TV-Serien an und dürfen abends eine Stunde lang die Computer benutzen. Was fehlt, ist eine Wii-Konsole, mit der sie virtuell Sport treiben und miteinander Spaß haben könnten. Den größten Wunsch der Mädchen kann ohnehin kein Geld der Welt erfüllen helfen: Sie alle würden lieber heute als morgen ihre Familien nachholen. Solange dies nicht möglich ist, bleibt das Handy die einzige Verbindung. Die nutzen sie alle so oft wie möglich. Auch wenn es die Trauer nicht nimmt darüber, dass der Vater in einem anderen Land in Abschiebehaft sitzt oder die Mutter sich allein mit den Geschwistern zu Hause ängstigt.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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