SZ-Adventskalender:Viele Schmerzen und kaum Geld

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Claudia S. kann seit Wochen die Wohnung nicht mehr verlassen. Die 63-Jährige hat ihr Leben lang gekämpft. Jetzt schämt sie sich dafür, von Hartz IV leben zu müssen.

Isabel Meixner

Claudia S. (Name geändert) ist eine Kämpferin. Sie kämpfte darum, von ihrem Vater anerkannt zu werden, der keine Tochter wollte. Sie kämpfte sich ins Leben zurück, als im Alter von 19 Jahren in einem Monat ihre Tochter, ihre Mutter und ihre Oma starben. Sie arbeitete jede Mark ab, als sie nach der Scheidung von ihrem Mann vor einem Schuldenberg in Höhe von 30 000 Euro stand. Nun kämpft sie den schwersten Kampf ihres Lebens: den gegen ihren Körper.

Claudia S. kann seit einem Bandscheibenvorfall kaum mehr laufen. Sie hofft immer noch, dass ihre Krankheit besser wird. "Aber manchmal verliere ich den Mut." (Foto: Catherina Hess)

23 Mal ist die 63-Jährige in den vergangenen zehn Jahren operiert worden, doch schon mit 45 Jahren ging es gesundheitlich bergab: Claudia S. wurde zuckerkrank. Viermal am Tag muss sie sich spritzen. Es folgten Probleme mit dem Rückgrat , der Bandscheibe, sie litt unter Arthrose. Die Medikamente, die sie deshalb nehmen musste, verstärkte ihre Diabetes. Heute kann sie nach einem Bandscheibenvorfall nur noch eine Stunde lang sitzen, ehe die Schmerzen zu stark werden und sie sich wieder hinlegen muss. Will sie ein paar Meter gehen, muss sie sich auf ihr Gehwagerl setzen. Seit sechs Wochen hat Claudia S. ihre Wohnung nicht mehr verlassen: Sie kann keine Treppen mehr steigen, einen Lift gibt es nicht.

Doch Claudia S. kämpft dafür, weiterhin fit zu sein - im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten. "Ich versuche auch unter Schmerzen, mich zu bewegen", sagt sie. Zweimal könne sie die Wohnung auf- und ablaufen, "dann bin ich fix und fertig". Ihre Räume putzt sie selbst, Hilfe möchte sie nicht annehmen. Sie habe immer gehofft, dass ihre Krankheit besser wird, sagt Claudia S.. "Aber manchmal verliere ich den Mut." Das Festsitzen in ihrer Wohnung, die ständigen Schmerzen trotz Morphium-Pflaster, die Einsamkeit - damit kommt die 63-Jährige nur schwer zurecht: "Ich war immer ein Mensch, der gearbeitet hat."

Nichts in der Wohnung sei gekauft, sagt sie stolz, und in ihrer Stimme schwingt Wehmut mit. Viele Gegenstände nahm sie vom Sperrmüll und möbelte sie auf. Claudia S. hat viele Ideen, die sie noch verwirklichen möchte, falls es ihre Gesundheit wieder zulässt: ein Benefizkonzert zugunsten krebskranker Kinder organisieren, ehrenamtliche Helferin bei der Geretsrieder Tafel werden, die ihr jede Woche Lebensmittel vorbeibringt, Handarbeiten verkaufen. "Ich werde etwas für mich finden, womit ich mich versorgen kann", ist sie sicher.

Derzeit erhält Claudia S. Hartz IV. Dafür schämt sie sich. Bis vor drei Jahren hat sie in der Gastronomie gearbeitet, dann konnte sie ihren rechten Fuß nicht mehr spüren - eine Folge der Arthrose. Seither lebt sie von 180 Euro monatlich; dennoch versucht sie, sich regelmäßig zehn Euro für einen neuen Fernseher zur Seite zu legen. "Der jetzige kreischt und kann nur noch drei Programme empfangen", sagt sie.

Was ihr sehnlichsten Wunsch zu Weihnachten wäre? "Ein neuer Fuß", sagt die 63-Jährige unvermittelt. Dann wird sie nachdenklich und sagt leise: "Ich würde so gerne mal wieder raus und auf eigenen Füßen stehen." Dafür wird sie weiterkämpfen - auch wenn sie manchmal der Mut verlässt.

© SZ vom 06.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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