SZ-Adventskalender:Starke Mama

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Anandi M. hat zwei Kinder, kein Bett und kaum Geld. Doch sie kämpft für einen Neustart im Oberland

Von Marie Heßlinger, Bad Tölz-Wolfratshausen

Anandi M. ( Name von der Redaktion geändert) ist am Tag vor dem Weihnachtsfest müde und den Tränen nahe. Sie hatte am Vorabend Spätschicht gehabt, die Bahn war nicht gekommen, es war eiskalt gewesen. "Ich bin um Mitternacht nach Hause gekommen, um sechs Uhr bin ich heute aufgestanden, um die Kinder zu begrüßen", sagt sie. So geht das Tag für Tag. Die 40-Jährige ist alleinerziehende Mutter. Sie schläft auf der Couch, ihr Hab und Gut bewahrt sie in Kartons statt in Schränken auf. Gleich muss sie wieder los - zur Ausbildung.

Anandi M. ist auf dem afrikanischen Kontinent geboren, hat aber ihre Kindheit in Europa und den größten Teil ihres Lebens in Nordrhein-Westfalen verbracht. Nordrhein-Westfalen war ihre Heimat, betont sie. Doch dann sah sie sich gezwungen, zu fliehen. "Ich musste die Wohnung verlassen mit den Kindern, weil es ging um Leben und Tod", sagt sie und kämpft mit den Tränen. "Genau ins Detail kann ich nicht gehen, weil man versucht, die Dinge zu vergessen." Nun versucht Anandi M. im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen Fuß zu fassen. Sie hat auf dem umkämpften Markt eine Wohnung gefunden, die allerdings nahezu genauso viel kostet wie ihr Ausbildungsgehalt. Geld für Möbel oder andere Anschaffungen des täglichen Bedarfs bleibt deshalb kaum übrig.

Anandi M. lebt in einer Dreizimmerwohnung. Eines ihrer beiden Kinder schläft auf einer Matratze auf dem Boden. Sie selbst schläft auf einer Couch, die kaum hält. Dabei hat sie starke Rückenschmerzen. Amandi M. hätte gerne einen Schrank und eine Garderobe, um ihre Kleidung nicht länger in Pappkartons aufzubewahren. Und noch einen Wunsch gibt es, der aus eigener Kraft nicht zu stemmen ist: Sie hätte gerne einen Laptop für die Kinder. Während des Homeschoolings bekamen sie ein iPad von der Schule geliehen, um am digitalen Unterricht teilnehmen zu können. Doch das mussten sie zurückgeben, als der Präsenzunterricht wieder begann, obwohl viele Aufgaben nur digital zu lösen sind. Auch von einem Kühlschrank träumt die Familie, denn der, den sie haben, sei winzig, sagt die alleinerziehende Mutter.

"Ich habe eine Ausbildung angefangen, ich habe bis jetzt viel geschafft. Darauf bin ich auch stolz", sagt sie. Doch ihre Rückenschmerzen machen ihr Sorgen. Was, wenn sie wegen der Schmerzen bald nicht mehr arbeiten kann? "Meine größte Angst ist die Angst, es nicht zu schaffen. Die Angst, nicht für die Familie da zu sein", sagt Anandi M. "Ich wünsche mir, einfach ein normales Leben führen zu können." Hinzu komme die Einsamkeit. Es sei schwierig, in einem neuen Ort Kontakte zu knüpfen, wenn man viel arbeite.

Doch M. blickt nach vorne. "Man lebt einfach mit der Hoffnung", sagt sie. In einem Jahr hat sie die Ausbildung geschafft, dann hat sie ein höheres Gehalt. Irgendwann kann sie ihrer Tochter vielleicht die Kontrabassstunden bezahlen, von denen sie träumt. "Meine Kinder geben mir Kraft", sagt sie. "Wenn ich traurig bin, ist es schön, von den Kindern zu hören: Mama, es geht wieder vorbei. Du bist stark. Gib nicht auf."

© SZ vom 29.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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