SZ-Adventskalender:Schwere Rückkehr ins Leben

Lesezeit: 2 min

Josefa M. braucht neue Kleidung für ein Bewerbungsgespräch

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Für viele ist es eine Hürde, die es zu überwinden gilt, für Josefa M. (Name geändert) hingegen ist es das große Ziel: Sie will sich bewerben. Sie will den Schritt zurück in ein selbstbestimmtes Leben schaffen und wieder teilnehmen an der Gesellschaft. Bei dem Gedanken daran huscht ihr ein Lächeln über das Gesicht. Doch es hält nicht lange. Vor ihr liegt eine ganz andere Hürde: "Ich habe keine Kleidung dafür. Ich kann doch nicht mit alten, abgetragenen Sachen bei einem Bewerbungsgespräch auftauchen, man muss sich doch anständig kleiden dafür." Josefa M. lebt im Moment nur von Sozialhilfe, und die reicht gerade so für das kleine Ein-Zimmer-Apartement und das Nötigste zum Essen. Für ihre Bewerbung muss sie sich alles vom Munde absparen, vor allem das Geld für die Bewerbungsfotos. Für Kleidung geht das jedoch nicht.

Dass Josefa M. von Sozialhilfe leben muss, liegt an einem von Krankheiten geprägten Leben. Ursprünglich stammt sie aus einer Landwirtsfamilie. Doch der Vater starb früh, die Mutter war mit dem Betrieb und der Erziehung der drei Kinder überfordert. Streng sei es daheim zugegangen, erzählt Josefa. Früh zeigten sich bei ihr psychische Probleme ob der familiären Situation, als Mädchen wurde sie depressiv. Erst nach der Schule und einer Ausbildung zur Erzieherin schien sich das Blatt zu wenden. Josefa blühte auf im Umgang mit den Kleinen, wurde selbständiger und selbstbewusster. "Ein wirklich schöner Beruf war das für mich, ich hatte das Gefühl, mitten im prallen Leben zu stehen."

Doch ein eigenes Familienleben bleibt ihr verwehrt. Zwar wurde Josefa mit Anfang 20 schwanger, doch ihr damaliger Freund verließ sie. Als ihr Kind gerade fünf Jahre alt war, stand eine Routineuntersuchung beim Arzt an. Eine Blutuntersuchung nährte einen ersten Verdacht, weitere Untersuchungen bestätigten: Josefas Sohn litt unter einer seltenen Form der Leukämie. "Noch am selben Abend ist er in die Kinderklinik eingeliefert worden, und die Ärzte sagten mir, sie wissen nicht, ob er es schaffen würde." Für den Sohn begann eine leidensvolle Therapie, die Josefa nicht minder in Mitleidenschaft zog. "Ein Kind - noch dazu das eigene - so zu sehen, das zerreißt einen innerlich komplett." Wochenlang harrte sie bei dem Kleinen aus, bis ihre Kräfte erschöpft waren. Josefa brach im Krankenhaus zusammen. Sie wurde umgehend unter ärztliche und psychiatrische Aufsicht gestellt, die Mediziner diagnostizieren ein Borderline-Syndrom, später eine massive Depression.

Sie selbst in der Klinik, während das eigene Kind in einer anderen Klinik ums Überleben kämpfte: Diese Situation trug nicht zur Heilung bei. Es sollte Monate dauern, bis sich bei dem Kleinen eine Besserung einstellte. Doch Ärzte und Ämter sahen bei Josefa nicht genug Kraft, sich kümmern zu können. Das Kind kam für viele Monate in eine Pflegefamilie, Josefa durfte ihn in dieser Zeit lediglich besuchen. "Das war unfassbar belastend, nicht für ihn da sein zu können", erinnert sie sich. Heute, Jahre später, ist der Junge zwar medizinisch gesund, doch das Verhältnis noch immer nicht ganz gekittet. "Er wirft mir manchmal durchaus vor, nicht für ihn da gewesen zu sein, und er gibt mir die Schuld, dass er so gelitten hat." Josefa sollte selbst Jahre brauchen, bis sie sich aus ihren psychischen Krankheiten kämpfen konnte. Inzwischen hat sie ihre Depressionen im Griff, sie möchte wieder anknüpfen ans Leben. "Aber der Anfang ist schwer." Sie spart, wo sie kann, um für ihre Bewerbungsunterlagen alles beisammen zu haben. Ein wenig Hilfe aber, etwa über eine Spende für Kleidung, würde sie sich sehr freuen. "Das wäre für mich der Schlüssel in ein neues Leben."

© SZ vom 02.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: