SZ-Adventskalender:Kein Geld für den Kühlschrank

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Weil das Gerät defekt ist, lagert Amina N. Speisen auf dem Balkon

Von Marie Heßlinger, Bad Tölz-Wolfratshausen

Amila N. ( Name von der Redaktion geändert) hat einen Schrank auf dem Balkon stehen, in dem sie ihre Lebensmittel verstaut. Dann, wenn sie ihren Kühlschrank alle zwei Wochen abschalten und putzen muss - immer ist Wasser drin, und das Eisfach gefriert zu. "Ich habe Angst, dass er jeder Zeit kaputtgehen kann", sagt die 71-Jährige. Zusammen mit ihrem Mann hat sie nur 1 200 Euro im Monat an Einkommen, allein die Miete kostet sie 750 Euro. Sie hätten gerne einen neuen Kühlschrank.

Ursprünglich kommt Amila N. aus Kasachstan. Sie musste alles zurücklassen, als sie 2003 nach Deutschland kam. Sie hatten in der Sowjetunion zunächst gut gelebt, "dann ist Perestroika gekommen, dann haben wir drei Jahre keinen Lohn gehabt." Perestroika bezeichnet den von Michail Gorbatschow eingeleiteten Prozess zum Umbau und zur Modernisierung der Sowjetunion. 1991 erklärte Kasachstan seine Unabhängigkeit. Als Tochter deutscher Eltern zog Amila N. nach Deutschland. "Wir haben so große Augen gemacht: Hier kannst du alles bekommen, alles kaufen."

Alles bekommen, alles kaufen, das kann Amila N. heute leider nicht. Die gelernte Hebamme hat bis vor zwei Jahren noch gearbeitet, ihr Mann hat gespült und geputzt, doch die Rente aus Kasachstan wurde ihnen nicht angerechnet. Sie leben von der Grundsicherung. Für einen neuen Kühlschrank reicht diese nicht.

Doch Amila N. ist dankbar, in Deutschland zu sein. "Ich sage schon 'mein Deutschland'." Sie lacht. "Ich habe immer nur gute Leute in Deutschland kennen gelernt." Ihr ältester Enkel sei bei der Bundeswehr, ein anderer an der Uni, der dritte Elektriker. "Wenn wir in Kasachstan geblieben wären, könnte ich nicht sagen, was mit ihnen passiert wäre", sagt sie. Mittlerweile ist N. auch Urgroßmutter, und wirkt trotz Widrigkeiten glücklich.

Heiligabend konnte sie ihren Sohn, Enkel und den Urenkel sehen. Amila N. hat viel gekocht - "Beschbarmak": selbst gemachte Nudeln, mit Zwiebeln und einer Soße aus verschiedenem Fleisch. Auch gebacken hat sie, und Salate zubereitet. Die Familie musste alles aufessen. Denn für Reste ist im Schrank auf dem Balkon kein Platz.

© SZ vom 31.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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