Spontane Kunst:Tunnellösung fürs Hallenbad

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Starke Truppe: Die Ickinger Schüler können sich auf Zuruf an die Gurgel gehen oder - "Bollywood!" - sich in eine taumelnde Tänzerschar verwandeln. (Foto: Hartmut Pöstges)

Komisch, traurig, absurd: Das Münchner "Fastfood Theater" und neun Ickinger Schüler liefern dem Publikum in den Geretsrieder Ratsstuben einen rasanten Impro-Abend.

Von Sabine Näher, Geretsried

So viel junges Publikum sieht man selten in einer Theateraufführung: Überwiegend Schüler bevölkern am Samstagabend die fast ausverkauften Ratsstuben in Geretsried. Allerdings steht auch nicht Goethe, Schiller oder Lessing auf dem Programm, sondern das derzeit schwer angesagte Impro-Theater. Außerdem bringen die Improvisations-Profis Tom Ditz, Monika Eßer-Stahl und Andreas Wolf vom Münchner Fastfood Theater jugendliche Gäste mit auf die Bühne: das Impro-Team Icking, bestehend aus sieben Schülerinnen und zwei Schülern des Ickinger Gymnasiums. Dieses ist ein Ertrag der Workshops, welche die Münchner seit Jahren am Ickinger Gymnasium anbieten.

An diesem Abend lassen die Meister dem Nachwuchs den Vortritt auf der Bühne. Aus dem Publikum kommt die Vorgabe für die Szene: USA. Und dann legt die neunköpfige Truppe los. Zwei Akteure lösen sich jeweils aus der Gruppe heraus und spielen kurze Szenen, komisch, traurig oder auch absurd: "Jetzt weiß ich, was hier noch fehlt: Weißwurst! - Die mit Fleisch? - Wir können auch vegane . . ." Die Gruppe signalisiert Ekel und gibt vor, sich übergeben zu müssen. Und schon sind die nächsten dran. Ist es schon bei der üblichen Dreier- oder Viererbesetzung eines Impro-Teams rätselhaft, wie das im Einzelnen funktioniert, wenn alle aufs Improvisieren angewiesen sind, wirkt das bei einer Gruppe dieser Größe wirklich wie Zauberei.

Das lässt zum einen darauf schließen, dass die Mentoren bei der Vermittlung des Handwerks ganze Arbeit geleistet haben. Und zum anderen, dass sich hier wirklich neun Begabungen gefunden haben, denen zuzusehen das reinste Vergnügen ist.

Die gängigen Mittel des Impro-Theaters - auf Zuruf mitten im Satz die Sprache wechseln oder das Darbietungsgenre - werden erfolgreich durchgespielt. Während die "Psycho"-Szene gerade noch in ein wüstes Gemetzel abzurutschen drohte, verwandelt der Zuruf "Bollywood!" die ganze Truppe sogleich in ein taumelndes Tanzgelage bekiffter Hare-Krishna-Jünger. Viel Applaus für diese Leistung!

Dann kommen die Münchner Profis hinzu. Auch dieses Zusammenwirken klappt ohne den geringsten Aussetzer. Herrlich die Schlussnummer: "Schau, das ist unser Haus, ich hab' alles selbst gebaut! - Schön! Und wann kommen die Mauern? - Ich dachte, erst mal der Innenausbau?" Nachdem der Nachwuchs herzlich verabschiedet wurde, haben die Münchner die Bühne für sich und fragen nach Themen, die die Region bewegen. "Hallenbad!" ertönt es aus der Menge. Monika Eßer-Stahl lässt sich kurz erläutern, was es damit auf sich hat. Und dann legen die drei eine herrliche Szene mit Statements von Baubefürwortern und -gegnern hin. "Ich gehe immer nach Ascholding zum Baden. Das ist so spannend: Fällt das Dach runter oder nicht?" Der Architekten-Experte erklärt derweil die Tunnel-Lösung für alternativlos: "Wir bauen einfach einen Tunnel zwischen den alten, kleinen Bädern!" Unwidersprochen bleibt die Theologin: "Brauchte Jesus ein Hallenbad? Nein! Er ging übers Wasser!"

Bei allen Impro-Gruppen beliebt ist das Zettel-Spiel: In der Pause schreiben die Besucher Sätze auf, die sie am Bühnenrand niederlegen. Während der Spielszene werden diese reihum aufgehoben und vorgelesen. Das führt mitunter zu witzigen Verstrickungen. Etwa wenn in der Beerdigungsszene zwei streitende Brüder und die trauernde Witwe mit dem Satz "Der Pumuckl ist wieder da!" konfrontiert werden. Hier die Contenance zu wahren und einen stimmigen Anschluss zu finden erfordert echte Improvisationskunst. Diese ist den Münchnern nicht abzusprechen. Das Publikum amüsiert sich bestens.

Natürlich gehen bei dieser zum Prinzip erhobenen Kleinteiligkeit einer Vorstellung zwangsläufig Dinge verloren, die Theater in seiner hergebrachten Form neben der Unterhaltung eben auch ausmachen: dramaturgische Bögen und Spannungsfäden, ein zunehmender, sich verdichtender Erkenntnisgewinn. Aber diese Art Vergnügen spiegelt wohl den Zeitgeist wider. Großer Applaus.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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