Sagen:Die Geisterfrauen von Reichersbeuern

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Ums 1100 Jahre alte Schloss ranken sich Legenden. Sophie von Pienzenau und Tochter Anna spielen meist die Hauptrollen. Der frühere Leiter der Max-Rill-Schule kennt alle.

Von Sabine Näher, Reichersbeuern

Wer als neuer Schüler in das Internat der Max-Rill-Schule kommt, wird über kurz oder lang nächtens der Weißen Frau auf den weitläufigen Fluren des Schlosses Reichersbeuern begegnen. "Wir haben uns natürlich bemüht, das abzustellen, aber unsere Schüler haben immer wieder einen Weg gefunden, die Neuen dieser Feuertaufe auszusetzen", schmunzelt Hermann Schmid, der von 1985 bis 2001 Schulleiter auf Reichersbeuern war. Der gebürtige Münchner und studierte Altphilologe hat unzählige Geistergeschichten und Sagen parat, die sich um seine frühere Wirkungsstätte ranken.

Kein Wunder bei einem Gebäude, das auf eine fast 1100 Jahre umfassende Geschichte zurückblicken kann. Schon um 920 wurde im heutigen Reichersbeuern ein Landsitz des Klosters Tegernsee errichtet, den vermutlich die adelige bayerische Familie Richer zu Lehen bekam. Diese Herren "de Richerspiuren" bewohnten die Burg bis 1380. Von 1384 an war Reichersbeuern Hofmark mit eigener Gerichtsbarkeit. Seine heutige Gestalt verdankt das Schloss weitestgehend Veit Jacob Tänzl zu Trazberg, einem Tiroler, der mit dem Silberbergbau im Inntal ein Vermögen gemacht hatte. Er erwarb die Burg 1520 und baute sie zum Renaissanceschloss um mit der prächtigen und kunstvollen Ausgestaltung, die man heute noch bewundern kann. Seit 1829 ist das Schloss im Besitz der Familie von Sigriz, die es um ein Obergeschoss erweiterte und die Schlossökonomie ausbaute.

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(Foto: Harry Wolfsbauer)

Bis heute geistert die Weiße Frau durch die Gänge des Schlosses Reichersbeuern - ein Spuk mit Tradition, den Schüler der Max-Rill-Schule am Leben erhalten.

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(Foto: Harry Wolfsbauer)

Seit 1938 dient die einstige Burg als Internat.

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(Foto: Harry Wolfsbauer)

Ein Gebäude, das auf eine fast 1100 Jahre umfassende Geschichte zurückblicken kann.

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(Foto: Harry Wolfsbauer)

Seine heutige Gestalt verdankt das Schloss weitestgehend Veit Jacob Tänzl zu Trazberg. Er erwarb die Burg 1520. Das Wappen der Familie ist noch heute als feine Holzvertäfelung in der Decke zu sehen.

Im Mai 1938 zog der Pädagoge Max Rill mit 43 Schülerinnen ein, um seine Reformpädagogik des gemeinsamen Lebens und Lernens, die so auch in den Internaten in Schondorf am Ammersee und Salem am Bodensee gelebt wird, zu verwirklichen. Ursprünglich war die Schule Mädchen vorbehalten; die ersten Buben kamen mit dem neuen Schulleiter Schmid 1985 ins Haus. Da dürfte das Weiße-Frau-Spielen den Mädchen ganz besonderen Spaß gemacht haben. "Die Weiße Frau wird identifiziert mit Sophie von Pienzenau", erklärt Schmid. "Sie erscheint plötzlich, wie aus einem Nebel heraus, schaut, wer im Zimmer ist, schwebt dann über die Gänge, verschwindet durch eine geschlossene Tür und löst sich, durch ein Fenster ins Freie schwebend, wieder auf." Um das Paar Christoph und Sophie von Pienzenau und deren Tochter Anna ranken sich die meisten der Legenden, die in Schloss Reichersbeuern spielen.

Christoph erwarb die Hofmark Reichersbeuern 1577 und vereinigte sie mit der Nachbarshofmark Sachsenkam, die ihm als Erbe 1570 zugefallen war. Für die Legendenbildung scheinen indes nur die Damen der Familie zuständig zu sein. Zwei weitere, gruselige Geschichten weiß Schmid zu erzählen: Sophie war unheilbar krank, spürte ihr Ende nahen und übergab der Tochter hundert Gulden, von denen sie eine jährliche Seelenmesse für die Mutter lesen lassen sollte. Doch Anna, die von einem italienischen Grafen umworben wurde, wollte diesem imponieren. So gingen die hundert Gulden drauf für Kleider, Schmuck, ein edles Pferd. Bald nach der Hochzeit kam Anna bei einem Jagdunfall ums Leben. Der Graf, der nur auf ihr Geld ausgewesen sein soll, habe dabei seine Finger im Spiel gehabt, wird gemunkelt. Und als sich der Todestag Sophies wieder einmal jährte, sei ein Hofbauer aus dem Dorf in einer kalten, mondlosen Nacht am Schloss vorüber gegangen und habe plötzlich einen Lichtschein an einem der Fenster bemerkt und undeutlich die Umrisse eines Gesichtes hinter der Scheibe erkannt. "Das Licht wanderte mit ihm weiter, bis er am letzten Fenster im Erdgeschoss eine Frau erkannte, die jämmerlich schrie und um Hilfe flehte. Dabei war das Schloss menschenleer. Der Bauer rannte entsetzt nach Hause und wurde schwer krank", berichtet Schmid. Lag die Verfehlung nach der ersten Geschichte bei der Tochter, ist es bei einer weiteren Geschichte umgekehrt: Sophie soll Anna zur Strafe im Wehrturm eingesperrt haben und nach München gefahren sein. Bei ihrer Rückkehr fand sie die Tochter tot vor. Immer, wenn der erste Schnee falle, spuke die unglückselige Mutter nun händeringend und das Los ihres Kindes beklagend durch die Gänge.

Um das Schloss Reichersbeuern ranken sich zahlreiche Legenden. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Keiner historischen Persönlichkeit zuzuordnen ist dagegen das Geraune über das "Gschlerf": Diener, die nachts über die Wendeltreppe gingen, hörten in den Gängen schwere, schleifende Tritte, als trüge jemand eine schwere Last. "Die Begegnung, die hätte erhellen können, wer da zugange ist, hat aber keiner abgewartet. Die sind alle entsetzt geflohen", erzählt Schmid. Ähnlich verhalte es sich mit dem wandernden Licht im Schloss, das einer Magd, die in einer dunklen, kalten Nacht vom Faschingstanz nach Hause ging, einen gehörigen Schrecken eingejagt haben soll. Wer da leuchtete, bleibt ungewiss. Historisch verbürgt ist dagegen der Bericht über eine Geisterbeschwörung, die an den Weihnachtstagen 1644 im Schloss stattgefunden hat.

Und dann gibt es noch eine Geschichte, die sich auf die Zukunft richtet: Im Landkreis werde einmal eine schwere, das Leben vieler Menschen bedrohende Hungersnot ausbrechen. An einem Sonntag wird dann ein Mädchen aus Reichersbeuern ins Schloss gehen, die Kellertreppe hinab steigen und eine große Tür öffnen, hinter der sie drei vornehme Damen erblickt, die auf großen Eichentruhen sitzen. Eine winkt sie heran, wie hypnotisiert folgt sie dem Wink, die Frau öffnet die Truhe und füllt die Schürze des Mädchens mit Gold, Edelsteinen und Geschmeide. Als das Mädchen sich nochmals umwendet, ist der Keller vollkommen leer. Mit dem Schatz aus der Schürze kann das Dorf samt der umliegenden Gegend der Hungersnot trotzen.

Hermann Schmid (rechts) hat Geistergeschichten und Sagen aus Reichersbeuern gesammelt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Buchtipp: Hermann Schmid, "Schloss Reichersbeuern - Geschichte und Geschichten", hrsg. vom Max-Rill-Gymnasium, Schloss Reichersbeuern, 2013

© SZ vom 04.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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