Prozess:Annäherung an der Endhaltestelle

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Eine 19-Jährige und ein Busfahrer kommen sich näher. Sie wirft ihm sexuelle Nötigung vor, er wird freigesprochen. Jetzt steht sie wegen falscher Verdächtigung vor Gericht.

Von Benjamin Engel, Geretsried

Was geschah wirklich in jener Nacht im August vor zwei Jahren? Eine 19-Jährige fährt mit dem Bus bis zur Endhaltestelle in Geretsried. Sie und der 31-jährige Fahrer kennen sich - und kommen sich näher. Hinterher wirft sie ihm sexuelle Nötigung vor, er streitet alles ab. Es kommt zum Prozess - der Mann wird freigesprochen. Nun wird der Fall wieder aufgerollt: Die 19-Jährige steht wegen falscher Verdächtigung vor dem Amtsgericht Wolfratshausen.

Die Frau war nach einem Cafébesuch gegen 22. 30 Uhr in Geretsried in den Linienbus gestiegen. Sie kannte den Fahrer seit längerer Zeit vom Sehen, hatte sich öfter mit ihm zwanglos unterhalten. Sie blieb bis zur Endhaltestelle sitzen. Hinterher erhob die Frau schwere Vorwürfe gegen den Mann: Er soll sie trotz Gegenwehr geküsst und an die Brust gefasst haben. Unter anderem hatte die Frau im ersten Prozess geschildert, dass der Busfahrer sie mit beiden Händen festgehalten, den Kopf nach unten gedrückt habe, sie sich aber habe befreien und diesen ohrfeigen können. Seiner Darstellung nach war es zum einvernehmlichen Austausch von Zärtlichkeiten gekommen. Beide blieben am Dienstag bei ihren Schilderungen. Sie wurden unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen.

Auch Richter Helmut Berger, der den Busfahrer im Oktober freigesprochen hatte, trat in den Zeugenstand. Ihm sei die Darstellung der Frau wenig plausibel erschienen. Außerdem hätten Familienangehörige die Frau telefonisch und per SMS aufgefordert, nach Hause zu kommen. Es sei schwer nachzuvollziehen, warum sie bis zur Endhaltestelle sitzen geblieben sei. Denn um schnellstmöglich nach Hause zu kommen, hätte sie bereits früher aussteigen müssen. Noch am selben Tag habe sie zudem mit einem Freund Whatsapp-Nachrichten über Sex an ungewöhnlichen Orten ausgetauscht - etwa in einem Bus oder auf einer Waschmaschine.

Wie die Schwestern der Angeklagten nun aussagten, hätten sie ihrer Schwester eine SMS geschrieben, dass sie endlich nach Hause kommen sollen. Sie hätten sich Sorgen gemacht. Als ihre Schwester zur Tür hereingekommen sei, habe sie verweint und schockiert ausgesehen. Von den Vorfällen im Bus habe sie nur stockend berichtet. Schließlich sei sie mit den Eltern zur Polizei gefahren, um den Busfahrer anzuzeigen. Eine der Schwestern der Angeklagten erklärte, dass ihre Schwester das Gefühlt gehabt habe, dass die Polizei negativ gegen sie eingestellt gewesen sei. Sie könne Bitten schlecht abschlagen und sei vermutlich deshalb noch bis zur Endhaltestelle im Bus sitzen geblieben, als der Busfahrer sie gefragt habe, ob sie noch eine Runde drehen wollten. Weder den Schwestern der Angeklagten noch der Mutter waren äußere Verletzungen an der 19-Jährigen aufgefallen.

Eine der Schwestern bezeichnete es als Unverschämtheit, dass der Busfahrer mit seiner Darstellung durchgekommen, sprich freigesprochen worden sei. Dessen Anwalt habe sich eine schöne Geschichte zurechtgelegt. Einer der Schöffen bezeichnete es allerdings als schwierig zu verstehen, warum die junge Frau einfach mit dem Busfahrer weitergefahren sei. Er frage sich, welche Signale eine junge Frau - sie hatte ein Kleid an - damit zu so später Stunde aussende. Darüber empörte sich einer der Zwillingsschwestern. Wenn eine Frau ein Kleid anzöge, dass einen Ausschnitt habe oder Bein zeige, wolle sie damit doch auf keinen Fall irgendjemanden provozieren.

Der Busfahrer hatte gegenüber der Polizei zunächst jegliche Grapschereien abgestritten. Doch nachdem DNA-Spuren an Ohr und Brust des Mädchens festgestellt worden waren, hatte er sexuelle Handlungen im Prozess vom Oktober 2015 gegen ihn eingeräumt. Doch wie der Mann es geschildert hatte, habe die junge Frau mit den sexuellen Avancen begonnen. So habe sie ihn an den Oberschenkel gefasst. Danach hätten sie sich geküsst. Dann habe er daran denken müssen, wie er jemals seine Tochter wieder küssen könne - und sich schließlich losgerissen. Der Mann hatte sein vorheriges Schweigen mit den Gefühlen gegenüber seiner Frau begründet. Vor ihr habe er sich damals geschämt. Sie sei mit einem weiteren Kind schwanger gewesen. Die Verhandlung wird fortgesetzt.

© SZ vom 07.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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