Erinnerungskultur in Penzberg:"Schaut doch mal hin"

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Kunstvermittlerin Alice Grubert und Kulturamtsleiter Thomas Kapfer wollen die Erinnerung an die Penzberger Mordnacht mit einem neuen Angebot lebendig halten und damit vor allem Jugendliche erreichen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Kirsten Boie hat mit ihrem Jugendroman "Dunkelnacht" die Aufmerksamkeit auf die Penzberger Mordnacht gelenkt. Nun knüpft die Stadt mit Führungen daran an. Alice Grubert hat sie konzipiert.

Interview von Stephanie Schwaderer, Penzberg

Die Stadt Penzberg nennt es das dunkelste Kapitel ihrer Geschichte: In der Nacht vom 28. auf den 29. April 1945, wenige Stunden vor Kriegsende, wurden 16 Menschen von fanatischen Nationalsozialisten ermordet - die einen erschossen, die anderen erhängt. Auch in diesem Jahr erinnert die Stadt mit einer Gedenkfeier an die "Penzberger Mordnacht", die in den Geschichtsbüchern als "Endphasenverbrechen" des untergehenden NS-Regimes geführt wird. Zudem gibt es jedoch ein ganz neues Angebot: Eine Themen-Führung soll die Geschichte vor allem für junge Leute greifbar und lebendig machen. Alice Grubert, Kunstvermittlerin im Museum Penzberg - Sammlung Campendonk, hat sie konzipiert.

SZ: Frau Grubert, wenn Sie sich für ein Exponat entscheiden müssten, um die Penzberger Mordnacht zu erklären, welches würden Sie wählen?

Alice Grubert: Die Augenbinde, die den sieben Männern umgelegt wurde, als sie beim heutigen Denkmal erschossen wurden. Das Tuch mit den Einschusslöchern ist heute im Mordnacht-Zimmer im Museum ausgestellt.

Das ist grausam.

Ja, das ist total grausam. Die Recherche hat mich phasenweise auch sehr mitgenommen. Allein die Erkenntnis, wie früh auch in Penzberg der Terror begonnen hat. Schon 1933 wurde das KZ Dachau gebaut. Der bis dahin amtierende Bürgermeister Johann Rummer von der SPD und weitere KPD-Mitglieder wurden dorthin gebracht. Und dann die Geschehnisse rund um die Mordnacht: Wie willkürlich Befehle gegeben wurden und wie sie blind befolgt wurden. Die enthemmte Brutalität der Werwolf-Gruppe, die aus München gesandt wurde und Spaß daran hatte, sich zu betrinken und Leute aufzuhängen. Maßloser Terror, der jede Menschlichkeit auslöscht.

Die Tochter eines Ermordeten hat den Strick aufbewahrt, mit dem ihr Vater gehängt wurde. Auch er ist im Museum zu sehen. (Foto: Museum Penzberg/oh)

Sie haben eineinhalb Stunden Zeit, um das komplexe Thema Jugendlichen nahezubringen. Wie fangen Sie an?

Ich denke, viele Schulklassen, die zu uns kommen werden, haben Kirsten Boies Buch "Dunkelnacht" gelesen. Es wurde mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet und schildert die Mordnacht ganz plastisch aus der Sicht von Jugendlichen. Die Schüler sind also schon ganz gut vorbereitet. Ich möchte das Ganze unterfüttern. Als erstes gehen wir in die Bergarbeiterwohnung im Museum. Dort wollen wir ein bisschen nachspüren: Wie war das Leben in Penzberg in den 1920er und 30er Jahren? Wie haben die Menschen gewohnt, wie waren die Lebens- und Arbeitsverhältnisse?

Erklären Sie das, oder beziehen Sie die Jugendlichen ein?

Ich hoffe sehr, dass wir ins Gespräch kommen. Man sieht und spürt ja, wir karg das Leben damals war. Da hatte nicht jeder drei Paar Schuhe an der Tür stehen. Die Familien haben sich zu zwölft zwei winzige Zimmer geteilt. Vielleicht erinnern sich die Jugendlichen auch an das ein oder andere, was sie im Unterricht über diese Zeit gelernt haben: Versailles, Oktoberrevolution, Weltwirtschaftskrise, Inflation. All das spielt zusammen. Penzberg war damals eine Insel, eine Arbeiterstadt, umringt von Bauerndörfern. Die Arbeiter haben begonnen, für ihre Rechte zu kämpfen. Das "rote Penzberg" war bei den Nationalsozialisten verhasst. All das muss man wissen, um zu verstehen, warum die meisten Opfer der Mordnacht politisch aktive Mitglieder der KPD oder SPD waren.

Im Mordnacht-Zimmer im Museum sind die Abläufe gut dokumentiert. Wie gehen Sie mit diesem Material um?

Dazu habe ich Fragebögen vorbereitet, mit denen die Jugendlichen selbständig arbeiten können. Das ist auch praktisch, wenn wir Klassen aufgrund ihrer Größe teilen müssen. 30 Leute passen nicht in die Bergarbeiterwohnung. Danach machen wir uns dann gemeinsam auf den Weg in die Stadt.

Was gibt es dort noch zu sehen?

Ich habe Wohnungen und Häuser der Ermordeten ausgesucht, die heute noch so aussehen wie damals. Seit vorigem Jahr gibt es dort auch Stolpersteine. Im Idealfall könnten Schüler kleine Referate für diese Stationen vorbereiten. Thomas Kapfer vom Kulturamt, der sich sehr für diese Führungen eingesetzt hat, will Schulklassen auch ausdrücklich ermuntern, vorab ins Stadtarchiv zu gehen und dort zu recherchieren. Mich selbst hat es berührt, den Menschen auf diese Weise näher zu kommen. Wenn man etwa vor dem Haus steht, in dem Michael Boos gelebt hat, und erfährt: Er ist verwitwet, hat vier Töchter, die beiden Schwiegersöhne sind im Krieg gefallen. Als Lagerleiter setzt er sich dafür ein, das Leben der Kriegsgefangenen in den Bergwerken möglichst erträglich zu machen. Er ist Mitglied der SPD. Und er hätte leicht fliehen können, war sich aber keiner Schuld bewusst.

Vor genau einem Jahr wurden auch in Penzberg Stolpersteine verlegt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Wie sehen die weiteren Etappen aus?

Wir gehen zum Rathaus, wo Bürgermeister Rummer, zurück in seiner alten Wirkungsstätte, noch eine Ansprache gehalten und die Leute beruhigt hat. Endpunkt ist das Mahnmal, wo er und sechs weitere Männer kurz darauf erschossen wurden.

Welchen Grundgedanken würden Sie Ihren jungen Gästen gerne mitgeben?

Das ist die Frage, die ich auch vor dem Mahnmal stellen werde: Warum machen wir das? Ist doch alles lang vorbei. Es geht um Erinnerungskultur. Ich frage die jungen Leute: Wie konnte es damals soweit kommen? Und schaut doch mal jetzt hin, was gerade passiert. Ich habe zwei Plakate ausgewählt, eines von der NPD und eines von der AfD. Da kann man gut erkennen, wie Hass geschürt wird.

Führungen können bei der Museumsverwaltung unter 08856/813-523 oder unter museum@penzberg.de gebucht werden. Zur Mordnacht gibt es am Freitag, 28. April, am städtischen Friedhof Penzberg wieder ein "Stilles Gedenken" (18 Uhr, Ehrengräber), anschließend läuft im Bürgerbahnhof der Film "28. April 1945 - Aufstand und Mordnacht" von Günter Bergel (19 Uhr).

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