Dachauer Todesmarsch:"Da war sehr viel in den Leuten, was sie nicht preisgeben wollten"

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22 Mahnmale erinnern seit 1989 an den Dachauer Todesmarsch. Sie stammen von Hubertus von Pilgrim. (Foto: Hartmut Pöstges)

Max Kronawitter hat mit seinem Film "Todesmarsch - als das Grauen vor die Haustür kam" einiges angestoßen. Immer mehr Menschen wollen sich erinnern.

Vor zwei Jahren hat der Eurasburger Dokumentarfilmer Max Kronawitter seinen Film "Todesmarsch - als das Grauen vor die Haustür kam" vorgestellt. Teil dieses Projekts sind Filmabende entlang der Wegstrecke, bei denen Kronawitter das Gespräch mit der Bevölkerung sucht. Die nächste Station ist am Mittwoch, 26. April, Geretsried. Mit dabei ist der 91-jährige Künstler Hubertus von Pilgrim. Er hat die Mahnmale geschaffen, die seit 1989 im Münchner Umland an den Todesmarsch der Dachauer KZ-Häftlinge Ende April 1945 erinnern.

Max Kronawitter hat sich schon vor Jahren auf die Suche nach Zeitzeugen gemacht. (Foto: Hartmut Pöstges)

SZ: Herr Kronawitter, was empfinden Sie, wenn Sie an einem der Todesmarsch-Mahnmale vorbeikommen?

Max Kronawitter: Sie gehen mir nahe. Die Skulpturen erzählen, was die Häftlinge mitgemacht haben - eindringlicher, als viele Worte es könnten. Der Künstler zeigt sie nackt und barfuß, ihnen wurde alles genommen. Hubertus von Pilgrim ist es gelungen, etwas einzufangen, was sehr schwer einzufangen ist.

Die Mahnmale wurden vor 34 Jahren aufgestellt. Welche Bedeutung hat das alte Grauen, wenn das neue tagtäglich die Nachrichten bestimmt?

Ich würde es nicht so auseinanderdividieren. Das eine hat immer mit dem anderen zu tun. Deshalb mache ich diese historische Filmarbeit. Wir erinnern uns an das alte Grauen, um mit dem aktuellen Grauen besser umzugehen und vielleicht auch daran mitzuwirken, dass es so schnell wie möglich wieder verschwindet.

Am Mittwoch wird Hubertus von Pilgrim in den Ratsstuben mit dabei sein. Welche Fassung bekommt er zu sehen?

Zunächst ist der Film ja nur als halbe Fassung im Internet erschienen, dann als ganze Fassung auf DVD. Danach haben sich viele Menschen bei mir gemeldet und wollten auch ihre Erfahrungen schildern. Zum Beispiel eine Frau aus Höhenrain, die am Rockzipfel ihrer Mutter erlebt hat, wie sich einer der Häftlinge aus der Kolonne gelöst hat, ins Haus gestürmt ist und nach Brot gebettelt hat. Sie sagt, das war ein Totenkopf, der mit Haut bedeckt war, ein Bild, das sie nicht mehr losgelassen hat. Und das erzählt sie so eindringlich, dass ich es unbedingt in den Film aufnehmen musste.

Ihr Film hat also etwas in Bewegung gebracht?

Einige Leute wollten plötzlich erzählen, wie sie oder ihre Eltern den Todesmarsch erlebt haben. Eine Frau aus Wolfratshausen hat mir berichtet, dass ihre Mutter im Totenbett davon geredet und gebrüllt hat. Am Anfang meiner Recherchen dachte ich, es kann nicht sein, dass sich keiner hier erinnert. Es war so schwierig, Zeitzeugen zu finden, und es brauchte viel Überredungskunst, sie zum Reden zu bringen. Und plötzlich ist es dann gesprudelt. Da war sehr viel in den Leuten, was sie verschlossen hatten, was sie nicht preisgeben wollten.

Welche Bedeutung hat dieser Film für Sie?

Mich hat vor allem die Rolle der Bevölkerung interessiert, wie unterschiedlich die Leute reagiert haben. Die meisten haben die Türen zugemacht. Man war mit sich selber so beschäftigt, dass man sich nicht auch noch diesem Grauen aussetzen wollte. Aber es gab eben auch andere, die sich anrühren haben lassen und geholfen haben. Auch das wollte ich dokumentieren.

Filmabende mit Max Kronawitter zum Jahresgedenken an den Todesmarsch: Mittwoch, 26. April, 19 Uhr, Ratsstuben, Karl-Lederer-Platz 1, Geretsried; Donnerstag, 27. April, 19 Uhr, Pfarrsaal Beuerberg; Freitag, 28. April, 19.30 Uhr, Kino Bad Tölz (Stubn), Amortplatz 1; der Film ist erhältlich über www.ikarus-film.de

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:"Ich wollte ein kleines Denkmal setzen"

Max Kronawitter ehrt mit seinem Film über den Dachauer Todesmarsch die gepeinigten Häftlinge, die wenigen Anwohner, die halfen, und jene, die dafür gesorgt haben, dass die Erinnerung wach bleibt.

Von Stephanie Schwaderer

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