Penzberg:Beflügelt

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Claudia Mager, 32, und Stefan Leiß, 46, sind beim Justieren des Hinterrads in der Fahrradwerkstatt ein eingespieltes Team. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Seit zehn Jahren arbeiten Menschen mit Behinderung auf dem Penzberger Firmengelände von Roche

Von Viktoria Spinrad, Penzberg

Bevor sie herkam, da war noch alles monoton. Sie musste Autoteile zusammensetzen, "immer dasselbe", sagt Susanne Bundt. Jetzt deutet die 54-Jährige mit den kurzen, rötlichen Haaren in verschiedene Richtungen: hier Röhrchen zusammenfügen, da die Cafeteria. Ihr Lieblingsterrain sind nun die Teeküchen: "Darauf freue ich mich immer." Der Kontakt mit den anderen, den regulären Arbeitern bei Roche, das ist ihr Ding. "Ich hoffe, dass ich noch weitere zehn Jahre dableibe", sagt sie.

Es ist ein Nachmittag in Penzberg. Hier auf dem 60 Fußballfelder großen Areal des Pharmakonzerns arbeiten neben Akademikern auch Menschen mit Behinderung wie Susanne Bundt. Sie war dabei, als die Oberland-Werkstätten vor zehn Jahren auf dem Gelände des größten Arbeitgebers im Landkreis eine Dependence eröffneten. Das Ziel: Menschen mit Schädel-Hirn-Trauma oder Schizophrenie, mit Burnout oder Borderline-Störung integrieren.

Zehn Jahre später sind aus 20 Mitarbeitern 36 geworden, die flächendeckend über den riesigen Campus eingesetzt sind. Die heterogene Gruppe sortiert Paletten, scannt Maschinenpläne, teilt Mittagessen in den "Casinos" aus, baut Lounge-Möbel auf, schneidet Verpackungseinlagen zurecht. Wenn Roche mit einem neuen Auftrag anfragt, soll die Autonomie der Menschen gewahrt werden: "Die Mitarbeiter entscheiden, ob sie es machen wollen", sagt Gruppenleiterin Simone Fuchs.

Viel Spielraum hat auch Stefan Leiß. Das Reich des 46-Jährigen ist die Fahrradwerkstatt, in der er die Räder repariert, auf denen die Angestellten über den Campus flitzen. Wie viele Räder er in den vergangenen zehn Jahren repariert hat? Leiß kneift die Augen zusammen. "Da hab ich nicht mitgezählt", sagt er. "Er arbeitet wie ein Computer", erklärt die Gruppenleiterin. "Manchmal müssen wir sagen: Stefan, jetzt ist Pause!" - "Das passt für mich", sagt der und macht sich am nächsten Radl zu schaffen.

Die meisten aus der Gruppe kommen aus der Förderschule zu den Oberland-Werkstätten und machen dann ein Praktikum in der Roche-Dependence. Je nach Fähigkeiten und Persönlichkeit wird dann austariert, in welchen Bereichen die Menschen landen. "95 Prozent möchten es machen. Für manche sind die Anforderungen aber auch zu hoch", sagt Gruppenleiterin Fuchs. In der bunt gemischten Gruppe sieht sie vor allem einen Vorteil: "Wenn jemand in einer Krise ist, kann das jemand mit Down-Syndrom abfedern."

Zum bunten Mix trägt auch Rasso Willkomm bei. Der hochgewachsene 49-Jährige hat nicht nur einen Doktor in Biochemie, sondern auch sein eigenes Eckchen in der Werkstatt. Von hier aus recherchiert er wissenschaftliche Quellen - "sehr anspruchsvoll", sagt er. Überzogene Ansprüche sind kein Thema: "Es ist sehr schön hier", sagt Willkomm und lässt den Blick von seinem Eckchen aus zu den Werkstatt-Kollegen wandern.

© SZ vom 05.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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