Neue Heimat:"Man darf die Sprachbarriere nicht unterschätzen"

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Die Geretsriederin Agneza Katić Illić engagiert sich ehrenamtlich als Kulturdolmetscherin, inzwischen hat sie sich dafür professionell ausbilden lassen. Ein Gespräch über den Brückenschlag zwischen den Unterschieden im Alltag, das Auffangen und das Ankommen

Interview von Kathrin Müller-Lancé, Geretsried

- Nach fünf intensiven Wochenenden darf Agneza Katić Illić sich offiziell "Kulturdolmetscherin" nennen. Die 41-jährige Kroatin ist nun professionell ausgebildet für ein Ehrenamt, das sie ohnehin schon länger ausübt: das Vermitteln zwischen verschiedenen Kulturen. 1993, zur Zeit der Jugoslawienkriege, ist Illić mit ihrer Familie nach Deutschland geflüchtet. Damals war sie 13. Nach dem Krieg kehrte die Familie zurück in ihr Heimatland, seit 2017 wohnt Illić wieder mit Mann und Kindern in Deutschland. Nun erhielt sie zusammen mit zehn anderen ihr Zertifikat als Kulturdolmetscherin. Die Ausbildung ist ein Kooperationsprojekt der Caritas, des Malteser Hilfsdienstes und des Kreisbildungswerks Bad Tölz.

SZ: Frau Illić, erinnern Sie sich noch an Ihre allerersten Tage in Deutschland?

Agneza Katic Illić: Bei uns in der Heimat war Krieg, also ist meine Mutter mit uns drei Kindern und meiner Oma zu einer Tante nach Deutschland geflüchtet. Wir sind damals in Esslingen am Neckar in Baden-Württemberg angekommen. Gleich am nächsten Morgen mussten meine Schwester und ich in die Schule. Das war ganz schön verwirrend.

Inwiefern?

Wir konnten ja kein Wort Deutsch. Englisch hatten wir auch nicht gelernt. Wir konnten nicht sagen, was wir wollten - da haben wir uns schon manchmal hilflos gefühlt. Aber immerhin waren wir nicht erwachsen und mussten Entscheidungen treffen.

Erinnern Sie sich noch an eine konkrete Situation, d ie schwierig für Sie war?

An eine schwierige Situation erinnere ich mich nicht, aber an ein schwieriges Wort: Eichhörnchen. Wir lernten in der Schule die Tiere des Waldes, und da kam dieses Wort, das ich einfach nicht aussprechen konnte. Es verfolgte mich dann immer wieder. Ich habe heute noch Albträume davon (lacht).

Die Freiwilligen übersetzen und vermitteln, beispielsweise in der Schule. (Foto: Bodo Marks dpa/oh)

Ist es Ihnen schwer gefallen, sich in Deutschland zu integrieren?

Nein, überhaupt nicht. Natürlich war der Anfang hart, aber wir hatten viele Lehrer und Freunde, die uns unterstützt haben. Einmal, ich weiß nicht mehr, ob es Ostern oder Weihnachten war, haben uns die Nachbarn sogar kleine Geschenke vor die Tür gelegt. Dass meine Tante Deutsch sprach, hat uns bei vielem Organisatorischen geholfen.

Warum haben Sie sich dafür entschieden, eine Ausbildung zur Kulturdolmetscherin zu machen?

Als ich 2017 wieder zurück nach Deutschland kam, habe ich sofort viele Leute mit kroatischem oder bosnischem Hintergrund kennengelernt. Wenn man sich unterhält, heißt es dann oft: Kennst du nicht jemanden, der mal mit zum Arzt kommen und übersetzen kann? Oder in die Schule? Da habe ich oft geholfen. Eines Tages kam dann meine Schwester mit dem Flyer für die Ausbildung zur Kulturdolmetscherin.

Wie läuft diese Ausbildung ab?

Wir haben uns fünf Wochen lang immer freitagabends und samstags getroffen. Die Themen waren ganz unterschiedlich: Es ging zum Beispiel um Asylrecht, um das Schulsystem, das Gesundheitssystem, kulturelle Unterschiede. Ich habe gelernt, was es bedeutet, sich eine interkulturelle Brille aufzusetzen.

Nämlich?

Dass man sich der kulturellen Unterschiede und Hintergründe bewusst ist und sie reflektieren kann. Dann kann man zum Beispiel erklären: Das ist bei uns so, deshalb macht das Kind jetzt das und das. Viele Menschen haben tatsächlich Angst, mit der Schule ihrer Kinder zu sprechen oder zum Arzt zu gehen, weil sie sich unsicher fühlen.

Agneza Katić Illić ist Kulturdolmetscherin. (Foto: Manfred Neubauer)

Und in solchen Fällen helfen Sie dann weiter.

Genau. Ich erinnere mich noch an eine Frau, die ohnmächtig geworden und gestürzt ist. Erst zwei Tage später hat sie mir davon erzählt, als ich sie zufällig getroffen habe. Sie hatte sich nicht getraut, zum Arzt zu gehen, weil sie Angst hatte, dass sie etwas nicht versteht. Man darf die Sprachbarriere nicht unterschätzen. Ich habe die Frau dann begleitet und übersetzt. Die Ausbildung hat mir auch Selbstbewusstsein gegeben: Ich bitte andere, in kürzeren Sätzen und langsamer zu sprechen. Und hake nach, wenn ich etwas nicht beim ersten Mal verstehe.

Wahrscheinlich brauchen viele Leute auch momentan im Corona-Kontext Hilfe?

Über meine Tochter habe ich Kontakt zu einer kroatischen Familie bekommen, bei der alle vier an Corona erkrankt waren. Der Vater lag im Krankenhaus, die anderen waren in Quarantäne und konnten ihn nicht besuchen. Die Kommunikation mit dem Krankenhaus war schwierig. Da habe ich versucht, zu vermitteln. Es war mir wichtig, dass nicht die Kinder mit dem Krankenhaus sprechen mussten. Denn die Lage war sehr ernst. Leider landen in solchen Fällen oft die Kinder in der Dolmetscherrolle, weil sie besser Deutsch sprechen. Aber die sollten nicht alles schultern müssen. Es ist gut, wenn es da andere Möglichkeiten gibt.

Wie reagieren denn die Menschen grundsätzlich auf Ihr Engagement?

Es gibt inzwischen sogar Menschen von der professionellen Seite, also zum Beispiel Lehrer, die Kontakt zu mir aufnehmen. Das finde ich sehr wichtig. Bei den Klienten habe ich das Gefühl, dass sie mir vertrauen. Die sagen: Die versteht das, weil sie das selbst erlebt hat. Ich will anderen ein Netz bieten, das sie auffängt, wenn sie ankommen. Und irgendwann können sie es dann selbst.

Ehrenamtliche Kulturdolmetscher im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, weitere Informationen und Vermittlung unter /www.malteser-bistum-muenchen.de/kdm

© SZ vom 25.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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