Müller zwei Jahre im Amt:Der Bürgermeister, der an den großen Rädern drehen will

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Hunderte günstige Wohnungen, ein Turm im Zentrum: Michael Müller will Geretsried verändern. Als CSU-Mann hat er eine Muslima, die Kopftuch trägt, ins Rathaus geholt.

Von Felicitas Amler, Geretsried

Wenn Michael Müller eine Idee entwirft - und das tut er oft und mit Hingabe -, dann greift er gern zu Stift und Papier. Auf eins, zwei hat er Häuser, Straßen, Quartiere skizziert und dazwischen, beispielsweise, einen Skulpturenpfad angelegt. Wann diese Vision einer Kunst-Meile vom Stadtmuseum über den neuen urbanen Karl-Lederer-Platz bis zur Petruskirche Gestalt annehmen wird, ist offen. Andere Impulse, die der Geretsrieder Bürgermeister seiner Stadt in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit gegeben hat, sind bereits in konkrete Pläne verwandelt. Und es sind, wie Müller sagt, "alles sehr große Räder, an denen wir gerade drehen".

Für ein gutes Bild ist Mülller auch zu einem Tänzchen bereit: mit Kulturpreisträgerin Ingeborg Heinrichsen. (Foto: Pöstges)

Bevor er im Mai vor zwei Jahren in die inhaltliche Arbeit einstieg, setzte der neue Bürgermeister ein paar Akzente, die seinen politischen Stil deutlich machten. Er brachte eine Art neuer Offenheit ins Rathaus. Es fing schon damit an, dass er seine Handynummer bekannt gab und so fast jederzeit und überall zu erreichen ist; das kann schon mal der Flughafen Rom sein, von wo aus er nur schnell wissen lässt, die Verbindung sei leider schlecht, er werde sich aber wieder melden. Er sorgte dafür, dass semi-öffentliche Instanzen, die dem Stadtrat zuarbeiteten, abgeschafft wurden. Seitdem gibt es keine Beiräte mehr. Aber den ersten Jugendrat im Landkreis - ein demokratisch durch geheime Wahl legitimiertes Gremium. Die Liste lässt sich fortsetzen: starke Transparenz der Stadtrats- und der Rathaus-Arbeit, Bürgersprechstunden im öffentlichen Raum, Tag der offenen Tür im Rathaus... Müller zeigt sich allenthalben aufgeschlossen. Er spricht gern mit jedermann - das hat er bereits im Wahlkampf bewiesen, als er Hunderte Haushalte persönlich abklapperte.

Im Wahlkampf war auch schon klar: Der Kandidat hat ein Konzept. Er hatte Antworten auf die Frage nach seiner "Vision" für die Stadt. In vielen öffentlichen Auftritten legte er das dar, vor allem am monatlichen Stammtisch der eigenen Partei. Da entwarf er auffallend gut strukturierte Szenarien der sozialen Stadt, der Familienpolitik, des Wohnungsbaus, der Sportstadt oder der Wirtschaftsförderung. Und - was damals noch niemanden aufhorchen ließ - er wollte den Fokus der Stadtentwicklungsplanung verlagern: von der Böhmwiese ins vorhandene Stadtzentrum.

Dass Michael Müller eine kopftuchtragende Muslima - die Flüchtlingshelferin Suzan Jarrar - im Rathaus engagiert hat, findet er nicht so verwunderlich. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das ist Müllers Markenzeichen geworden. Jeder, den man fragt, ob Parteifreund oder einstiger Wahlkampfgegner, nennt es als das Wichtigste, was er angestoßen habe: die Umgestaltung des Karl-Lederer-Platzes in ein urbanes Zentrum oder, wie Müller sagt, "einen Identifikationspunkt der Stadt". Sein Ziel: "Wir wollen kein Zentrum haben, das um 18 Uhr ausstirbt."

Tatsächlich geschieht in Geretsried gerade etwas weithin Ungewöhnliches. Während allerorten Innenstädte veröden und - siehe Wolfratshausen - Lokalpolitiker über der Frage verzweifeln, wie sie Leben in ihre City bringen sollen, tun sich in Geretsried die schönsten Perspektiven für ein geschäftiges Leben inmitten der Stadt auf. Nach derzeitiger Planung wird sich ein markthallenartiger Supermarkt ansiedeln, dessen Wirkung als Magnet auf andere Läden als ausgemacht gilt. Es werden moderne, hohe Häuser entstehen, der Platz wird zum Bummeln einladen, die Autos werden großteils unterirdisch abgestellt sein. Und wenn es nach den Visionen geht, wird man auf einem markanten siebengeschossigen Gebäude in einem Restaurant mit Weitblick einkehren können.

All das denkt sich niemand allein aus. Aber Müller lässt zu, dass es gedacht wird, und sorgt dafür, dass viele viel darüber diskutieren. Der Stadtrat hat sich in mehreren Workshops damit auseinandergesetzt, die Bürger sind beteiligt. Ja, Geretsried hat sogar einen prominent besetzten kleinen Gestaltungsbeirat, der die Zentrumsentwicklung mit steuert.

Nach zwei Jahren Amtszeit ist Michael Müller zufrieden: Er hat viel auf den Weg gebracht und ist gemeinsam mit dem Stadtrat dabei. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Der Bürgermeister selbst zählt den Karl-Lederer-Platz zu den zwei großen Pluspunkten seiner Arbeit: "Die Zentrumsentwicklung vorangebracht", so nennt er es. Der andere Punkt, und auf Nachfrage sagt Müller, dies sei der ihm wichtigste, ist das überregional herausragende Großbauprojekt auf dem Lorenzareal. Dort werden in Kooperation zwischen Stadt, Grundstückseigentümer Krämmel KG und Baugenossenschaft Geretsried etwa 600 neue Wohnungen nach einem Programm der sozial gerechten Bodennutzung entstehen. Für Müller, der seinen Platz in der CSU auf der Seite des Arbeitnehmerflügels sieht, ist dies ein sozial essenzielles Vorhaben. Der Bürgermeister räumt ein: "Es braucht auch Leute, mit denen man so etwas machen kann." Aber es braucht eben auch die Gunst der Stunde - Krämmel nennt den aktuell zinsgünstigen Kapitalmarkt - und einen, der sie erkennt. Müller hat das neue Stadtzentrum und die Umwandlung des Lorenzareals in ein modellhaftes Wohngebiet von Anfang an forciert. Und er, dem Parteifreunde wie Kollegen eine gewisse Dünnhäutigkeit attestieren, lässt sich dennoch auch von Gegenrede oder Angriffen nicht aus einem Konzept bringen, von dem er überzeugt ist. Solcher Kritik müsse man standhalten, sagt er. So wie er es bei der Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes getan hat. Und mit ihm die CSU. Jene CSU, die jahrelang solche Forderungen der SPD abgelehnt hatte.

Aber auch dies ist ein Ergebnis Müllerscher Politik: die Wandlung der Geretsrieder CSU. Die trägt mit ihrem ersten Mann, auf dessen Wirkung sie erkennbar stolz ist, so manches entschlossen mit. Herausragend: die absolut flüchtlingsfreundliche Haltung. Müller setzt hier die Politik seiner parteilosen Vorgängerin Cornelia Irmer bekenntnishaft und tatkräftig fort. Die Stadt hat inzwischen drei Mitarbeiterinnen im Rathaus, die für Flüchtlinge, Asylsuchende, Integration zuständig sind. Sie hat eine überproportional hohe Anzahl an Unterkünften. Und einen Bürgermeister, der bei jeder Gelegenheit gut über Asylsuchende spricht und bei einer Anti-AfD-Kundgebung sagt: "Geretsried ist eine weltoffene Stadt. Da lassen wir uns keine braune Soße drüberschütten."

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Müller hat auch die erste Mitarbeiterin ins Rathaus geholt, die Muslima und Kopftuchträgerin ist. Ungewöhnlich für einen CSU-Mann? Er winkt ab: "Ich bin Katholik. Aber ich bin doch kein Missionar." Man müsse schon dem anderen zugestehen, dass er sich woanders verortet, und dürfe nicht das eigene Lebensbild zwingend für andere machen. Was ihn bei all dieser Offenheit, Liberalität, Toleranz mit der CSU verbinde, sei die katholische Soziallehre, "die christliche Handlungsethik", sagt er. Und dass natürlich auch in der SPD Platz für einen wie ihn sei, es dort aber auch Leute gebe, die deutlich konservativer als er seien.

Er selbst sei übrigens damals, als er in die CSU eintrat, konservativer als heute gewesen, sagt Müller. Das ist 26 Jahre her. Inzwischen ist der gelernte Bankkaufmann und studierte Volkswirt, der bei der Staatlichen Lotterieverwaltung gearbeitet hat, geschieden. Für seine beiden Kinder, einen 13-jährigen Sohn und eine zehnjährige Tochter, nimmt er sich aber auch als Bürgermeister mit vollem Terminkalender Zeit. Nach gut strukturiertem Plan, versteht sich. Mittwochnachmittag trifft man ihn grundsätzlich nicht mehr im Rathaus an, und alle zwei Wochen hat er die Kinder von Freitag bis Sonntag. Doppelbelastung? Andere Leute schafften das schließlich auch: arbeiten und Kinder betreuen, sagt er. Er hätte auch mit einem Motto antworten können, das er bei anderer Gelegenheit gern erwähnt: "Es ist nicht unsere Aufgabe, Probleme zu formulieren, sondern Lösungen zu finden."

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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