"Wände streichen, Segel setzen":Heiterer Querfeldeinspaziergang

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(Foto: Harry Wolfsbauer)

Generalprobe für neues Programm: Die Kabarettistin Luise Kinseher begeistert das Geltinger Publikum in der Kleinkunstbühne "Hinterhalt".

Von Wolfgang Schäl-von Gamm, Geretsried

Für den "Hinterhalt" war es wie ein Ritterschlag, aber kurzfristig auch ein Schock. Luise Kinseher, die unsterbliche "Mama Bavaria", die Großmeisterin des bayerischen Kabaretts, hatte sich entschlossen, die Generalprobe für ihr neues Programm 2022/23 ausgerechnet in die Geltinger Kleinkunstbühne zu verlegen, und dann das: ein so schleppender Vorverkauf, dass die Vorpremiere kurzfristig infrage stand. Zum Glück kam es dann doch ganz anders: der Andrang gewaltig, eine bis auf den allerletzten Platz besetzte Kunstbühne, eine Atmosphäre hochgespannter Erwartung und ein restlos begeistertes Publikum, das mit Szenenapplaus nicht sparte. Einen besseren Einstieg in das anstehende ausladende Tourneeprogramm mit dem verheißungsvollen Titel "Wände streichen, Segel setzen" hätte sich die Kinseherin, die sich ihrem Publikum als "kleinster gemeinsamer Nenner" präsentierte, kaum vorstellen können.

Mit dem spröden mathematischen Terminus hatte sie sich zu Beginn ihres nahezu zweistündigen Premierenprogramms selbstironisch beschrieben, ihr Auftritt aber war alles andere als trocken: Es war ein bühnenfüllender, heiterer Querfeldeinspaziergang durch allerlei Themen, auf die man erst einmal kommen muss, die inhaltlich aber irgendwie durch einen roten Faden zusammengebunden waren. Denn da gibt es ein rätselhaftes Loch im Parkett, das aus nicht nachvollziehbaren Gründen immer größer wird und letztlich dazu führt, dass die Bewohnerin, der ohnehin gekündigt wurde, ausziehen muss. Nun, nachdem alle Möbel fortgeschafft sind, steht sie in den leeren Räumen, sinnierend, wie der Riss entstanden sein könnte, ob er vielleicht sogar schon immer da war und nur nicht bemerkt wurde, wie man ihn schließen könnte, da es doch weit und breit keinen geeigneten Handwerker gibt. Unklar ist, wer für den Schaden verantwortlich ist, womöglich gar ein Schimmelpilz? Schlüssige Antworten gibt es auf diese tiefgründig bohrenden, nahezu kafkaesk anmutenden Grübeleien nicht, stattdessen entführt Luise Kinseher ihr Publikum erst einmal in ein ganz anderes Szenario: Da tritt sie als verwitwete Edelrentnerin auf den Plan, die genussvoll das von ihrem Mann ererbte Vermögen auf einem Aida-Dampfer auf den Kopf haut, während sich ihr verstorbener Gatte Heinz aus dem Jenseits mittels verräterischer Quietschtöne über den Lebensstil seiner nunmehr sehr lebensfrohen Witwe vernehmlich räuspert.

Luise Kinseher weiß ihre Mimik und ihre Stimme gekonnt einzusetzen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Daneben hat Kinseher eine Menge Themenvorschläge, über die es sich lohnt nachzudenken: Warum die Kuh als bayerisches Wappentier viel geeigneter wäre als der Löwe, und wieso Frau Holle keine Betten mehr ausschütteln muss, wenn sie staubabweisende Mikrofasertücher verwendet. Geradezu unentbehrlich sind Informationen über die meditative Wirkung eines Waldbades ("ein Baum, den man umarmt, kann nicht weglaufen"), über die wichtige Rolle des Bandwurms "im Enddarm der Evolution", über das Innenleben des Saugroboters und die Welt der Libellen, zumal die sibirische Azurjungfer. Politische Anklänge gibt es bei alledem nur am Rande, allenfalls Erinnerungen an eine Zeit, als es noch Videokassetten gegeben hat und "die CSU, diese bayerische Altmännerpartei, noch kein Sanierungsfall war". Schließlich verrät Kinseher noch den strategischen Doppelschritt zu einem zufriedenen Dasein. Der geht so: Problem lösen, Glücksgefühl erleben, damit neue Kraft zum Problemlösen schöpfen. Dann neues Problem lösen. Beispielsweise, wenn der neue dicke SUV nicht in die Garage passt. Einfach kleineres Auto kaufen, Problem gelöst. Dann wieder Freude. Wie schade, dass man das jetzt erst weiß, wie viel Ärger hätte man sich so erspart.

Solche Botschaften müssen eindrucksvoll übermittelt werden, und das schafft Luise Kinseher mit einer souveränen Bühnenpräsenz, die stark ans Volkstheater erinnert. Dass Kinseher die dort praktizierten Stilmittel allesamt virtuos beherrscht, verwundert nicht - mehrere Jahre war sie schließlich Ensemble-Mitglied der Sollner Iberl-Bühne. Vielleicht lernt man es dort, so beeindruckend die Augen zu rollen, die eigene Mimik einzusetzen, und ja, auch zu singen. Denn Kinseher kann damit ebenfalls aufwarten, sie präsentiert sich als Chansonnière, Opernsängerin und als verruchter Vamp, sehr zur restlosen Begeisterung des dankbaren Publikums, das Luise Kinseher nicht ohne Zugabe aus dem Hinterhalt entließ.

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