Generalvikar Peter Beer stellt in seinem fast ganz in Weiß möblierten Büro im Erzbischöflichen Ordinariat in München ein Glas Wasser auf den Tisch. Was dies sei? Nun ja, ein Glas Wasser. Wenn nun aber jemand behaupte, es handle sich nicht um ein Glas Wasser, dann werde ein Gespräch darüber schwierig, meint der katholische Würdenträger. Mit diesem Vergleich skizziert er den Streit mit der Sachsenkamer Gruppe, die für den Fortbestand des Konvents im Kloster Reutberg kämpft. Weil die kontemplative Ordensgemeinschaft dort nur noch aus zwei Franziskanerinnen besteht - ohne Oberin, ohne Novizenmeisterin, ohne Schwesternrat -, gibt es Beer zufolge kirchenrechtlich gar keinen Konvent mehr.
Ins Kloster Reutberg, das heuer seit 400 Jahren besteht, "kann niemand mehr eintreten, weil keine für ein funktionierendes Ordensleben ausreichend große Gemeinschaft mehr da ist, die zum Beispiel über die Eignung von möglichen Kandidatinnen entscheiden kann", sagt der Generalvikar. Das sieht die Sachsenkamer Gruppe mit Vertretern des Pfarrgemeinderats, des Fördervereins "Freunde des Klosters Reutberg" und Lokalpolitikern ganz anders. Sie werfen dem Erzbischöflichen Ordinariat vor, Neuzugänge zu verhindern, um die Schließung des Klosters zu bewerkstelligen. Mehr als 7000 Unterschriften hat die Gruppe inzwischen für den Erhalt des Konvents gesammelt, gut 250 Zuhörer kamen zu einem Informationsabend im Juni zusammen, der Diözesanrat votierte in seiner Vollversammlung ebenfalls für das Fortbestehen der Ordensgemeinschaft auf dem Reutberg. Das sei "ein schönes Zeichen, dass der Glaube nicht egal ist, dass die Kirche nicht egal ist", sagt der Generalvikar. Außerdem könne er die Leute verstehen, "dass sie Angst haben, dass sie ihre Heimat schützen wollen".
Dem lässt Beer jedoch sein großes Aber folgen. "Reutberg ist ein Ausrufezeichen für den Wandel", sagt er. Der Fall des Klosters in Sachsenkam steht für ihn nahezu paradigmenhaft für ein Land, in dem bundesweit nur noch 15 000 Ordensschwestern und circa 4000 Ordensmänner leben, davon sind lediglich etwa 4000 Mönche und Nonnen jünger als 65 Jahre. "Wir brauchen Leute, die an historischen Orten Neues wagen und nicht verbissen an Altem festhalten", sagt der Generalvikar. "Da fängt der Glaube, fängt die Zuversicht an."
Für die Sachsenkamer Gruppe hätte es hingegen mehrere Möglichkeiten gegeben, den Konvent auf dem Reutberg zu unterstützen. Da waren zum Beispiel die Kapuzinerinnen von der Ewigen Anbetung aus Salzburg. Sie hatten sich 2017 bereit erklärt, drei Nonnen nach Sachsenkam zu senden. Das Erzbischöfliche Ordinariat in Salzburg lehnte dies allerdings ab. Der Grund: Für einen Neubeginn wären zumindest fünf Schwestern nötig. Dies würde aber das Kloster Maria Loreto selbst in seinem Bestand gefährden. Dort leben 14 Nonnen, fünf davon sind älter als 70 Jahre. Die Sachsenkamer Gruppe wirft dem Ordinariat in München vor, die mögliche Hilfe aus Salzburg hintertrieben zu haben. Ordensreferent Lorenz Kastenhofer und der Salzburger Bischofsvikar Gottfried Laireiter seien schließlich Studienkollegen.
Diesen Verdacht weist Generalvikar Beer strikt zurück. Er legt ein negatives Antwortschreiben aus Salzburg auf eine offizielle "Anfrage" von Kastenhofer vor. "Er hätte das ja nicht tun müssen, wenn er gesagt hätte, wir wollen das nicht." Es gab noch andere Fälle. Auch der Orden "Mütter vom Heiligen Kreuz" aus Tansania bekundete Interesse, sich auf dem Reutberg anzusiedeln. Abgelehnt. Warum? Diese Nonnen feierten die Messe nach dem tridentinischen Ritus, also auf Latein, so Beer. Der Generalvikar bezweifelt, ob den Kirchgängern in Sachsenkam dies recht sei. Außerdem seien die tansanischen Schwestern ein apostolischer, also in der Welt tätiger Orden. "Wir müssten ihnen auf dem Reutberg eine entsprechende Tätigkeit geben."
Völlig unterschiedlich sehen die Sachsenkamer Gruppe und das Erzbischöfliche Ordinariat auch den Aufenthalt von Schwester Benedicta, die von Pfingsten 2017 bis Dreikönig 2018 auf dem Reutberg wohnte und den beiden Franziskanerinnen half. Sie habe wieder gehen müssen, weil sie den Konvent zu sehr stabilisiere, erfuhren Mitglieder der Gruppe von Schwester Benedicta. Dagegen erklärt der Generalvikar, dass die Ordensfrau vom Kloster Bethlehem in Koblenz auf Einladung von Schwester Faustina, einer der beiden Nonnen auf dem Reutberg, gekommen sei. Sie hätte zunächst nur kurz zu Gast sein dürfen, denn "sie kann ja nicht einfach von ihrer Ordensgemeinschaft weggehen", sagt Beer. Ein längerer Aufenthalt sei jedoch gebilligt worden, damit sie Schwester Faustina dazu bringe, eine Entscheidung über ihre persönliche Zukunft zu fällen. "Das hat sie nicht gemacht, sondern Schwester Faustina darin bestärkt, sich nicht zu verändern und nur auf das Wirken Gottes zu vertrauen, dass schon wieder Neueintritte kämen", so der Generalvikar. Daher habe man Schwester Benedicta gesagt, sie solle in ihr Kloster zurückkehren.
Für Generalvikar Beer ist eine Stärkung des Konvents ausgeschlossen. "Auch wenn es Hilfe von außen gäbe, müsste die Gemeinschaft auf dem Reutberg formell aufgelöst werden, da er ja faktisch in der notwendigen Größe schon jetzt nicht mehr besteht", sagt er. Kämen wirklich Klosterschwestern aus Salzburg nach Sachsenkam, brächten sie ihren Orden gewissermaßen mit. Schwester Faustina und Schwester Augustina vom regulativen III. Orden des Hl. Franziskus müssten dann den Kapuzinerinnen von der Ewigen Anbetung beitreten - und nicht umgekehrt. "Es wäre ein grundsätzlich neuer Konvent, Schwester Faustina müsste übertreten", sagt Beer. "Aber eine solche Gemeinschaft, die groß genug ist, um einen für ein funktionierendes Ordensleben notwendigen Konvent zu bilden, geschweige denn auf den Reutberg passt, haben wir nicht." Für Schwester Faustina sieht er drei Wege: Sie tritt einer anderen Ordensgemeinschaft bei, sie tritt aus dem Orden aus, oder sie unterstellt sich einer anderen Oberin. Dies müsste dann aber die Oberin eines apostolischen Ordens sein, die, anders als bei einer kontemplativen, also abgeschotteten Gemeinschaft, mit dem Auto hin- und herfahren dürfe. Die Entscheidung über die Auflösung des Reutberger Konvents trifft die Religiosenkongregation vom Vatikan, die diesen Schritt schon 2013 als unvermeidlich bezeichnet hatte. "Der Ball liegt jetzt in Rom", sagt Beer.
Im Streit mit der Sachsenkamer Gruppe ging es auch um die Verwaltung des Klosterbesitzes. Der ehemalige Verwalter, der bis 2012 tätig war, habe ein Monatssalär von etwa 2000 Euro erhalten, eine Finanzberatungsgesellschaft aus Pullach danach bis Anfang 2018 ein Honorar von 7500 Euro, gezahlt aus den Einkünften des Klosters von monatlich rund 10 800 Euro, so die Gruppe. Das Pikante: Der Mann der Geschäftsführerin dieser GmbH sitzt in der Finanzkommission des Ordinariats. Die Sachsenkamer Gruppe ließ den Vertrag von einer Münchner Anwaltskanzlei begutachten. Das Urteil: "sittenwidrig". Generalvikar Beer widerspricht. Der Kontrakt sei von Juristen des Ordinariats geprüft und für rechtens befunden worden, sagt er. Die Bezahlung richte sich nach der Bilanzsumme und betrage 95 Euro pro Stunde, was völlig im Rahmen des Üblichen sei. Der ehemalige Verwalter habe weniger Geld bekommen, weil er weniger gearbeitet habe.
Der Generalvikar hält der Sachsenkamer Gruppe vor, sie sei "im Wesentlichen auf einen Punkt konzentriert, an dem sich für sie offensichtlich mehr oder weniger ausschließlich das Wohl und Wehe des Reutbergs entscheidet." Ziel des Ordinariats sei es, den Reutberg "als belebten Ort des Glaubens zu erhalten". Die Pläne sehen vor, die Klosteranlage in ein Seelsorgezentrum zu verwandeln. Mit den Patres von den Missionaren der Hl. Familie in Dietramszell stehe man deshalb Gesprächen, sagt Beer. Zwei oder drei von ihnen sollen auf den Reutberg ziehen. "Auch wenn es nur zwei sind, so steht hinter ihnen eine Ordensstruktur, es gibt einen Überbau." Bis es so weit ist, müssen dem Generalvikar zufolge die Kirche renoviert, die Klosteranlage umgebaut, der Brandschutz ertüchtigt werden. Das Wichtige sei, dass Gottesdienste und geistliche Angebote in der Übergangszeit aber erhalten bleiben.
Das Tischtuch zur Sachsenkamer Gruppe ist für den Generalvikar nicht völlig zerschnitten. Immerhin bestehe diese Runde aus engagierten Angehörigen der Erzdiözese, sie seien Teil der Kirche. "Wir schauen, dass wir in Gesprächen bleiben." Allerdings fügt der Würdenträger hinzu, er sehe die Gefahr, dass die Balance zwischen Glaube und Vernunft verloren gehe. Er vermisse das Verständnis für den Wandel. "Wenn etwas anders wird, heißt dies ja nicht, dass es schlechter wird."