Kabarett:Brisante "Exitenzen"

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Zum Therapeuten, in die Achterbahn und in die Sesamstraße nimmt das Kabarett-Ensemble sein Publikum mit. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Bei der Vorpremiere der Lach- und Schießgesellschaft ist der Geltinger "Hinterhalt" voll. Das neue Programm kommt gut an, an manchen Stellen muss doch nachjustiert werden.

Von Sabine Näher, Geretsried

Mit einem solchen Andrang hatte Assunta Tammelleo nicht gerechnet. Fast schon stapeln muss sie ihr Publikum am Montagabend im "Hinterhalt". Allerdings ist ihr auch ein echter Coup gelungen. Die legendäre Lach- und Schießgesellschaft kommt zu ihrer Vorpremiere hinaus aufs oberbayrische Land und ist erstmalig im "Hinterhalt" zu Gast. Das will sich offenbar keiner entgehen lassen.

Entsprechend hoch gesteckt sind die Erwartungen. Als Norbert Bürger, Caroline Ebner, Sebastian Rüger und Frank Smilgies das Podium betreten, wirken sie beinahe eingeschüchtert. "Eigentlich ist das für uns eine öffentliche Probe zu unserem neuen Programm 'Exitenzen'. Hoffentlich brauchen wir den Spickzettel nicht so oft wie gestern ...", schraubt das Ensemble die Erwartungen ein wenig nach unten.

Halbe Probe oder vollgültiger Auftritt: Egal - es ist die 1956 von Sammy Drechsel und Dieter Hildebrandt gegründete "Lach- und Schieß". Da liegt die Messlatte einfach hoch. Und, soweit sei vorgegriffen, offensichtlich immer noch zu Recht. Politische Themen stehen nach wie vor im Vordergrund. In den vergangenen Wochen ist ja auch genügend passiert, um Kabarettisten Stoff zu liefern. Irritierende Tiergeräusche, die man zunächst nicht einordnen kann, entpuppen sich als "Wa(h)l-Beobachtungen": In herrlich kunstvoll verdrehter Sprache geben die vier Darsteller die schrecklichsten Stammtisch- und Pegida-Parolen von sich. Die AfD lässt grüßen.

Wie ein roter Faden zieht sich eine "Direkt-Schalte" nach Brüssel durch den Abend, wo ein Korrespondent mit sehr charmantem französischen Akzent den rasant steigenden Pegel der neusten Austrittsmeldungen vermeldet. Der Brexit hat Folgen. Als running Gag gestaltet sich die Therapiestunde von Herrn Huber: Umständlich legt er sich auf die Couch, sprich: zwei zusammen geschobene Stühle. "Na, wie geht's Ihnen heute?", fragt der Therapeut. "Ach, eigentlich ganz gut", antwortet der Patient. Pause. "Na dann - bis Mittwoch!" Dieses wiederholte Intermezzo soll sicherlich eine größere politische Dimension haben: Der Behandlungsbedarf wird allenthalben diagnostiziert. Bloß behandelt wird nicht.

Ebenso brisant die Ausflüge in die Sesamstraße, wo die Schnecke Finchen, Grobi und Graf Zahl weibliche Gäste aus Indien oder Ägypten begrüßen, um sie mal eben nach ihren Vergewaltigungs- und Beschneidungserfahrungen zu fragen. Als diese irritiert ablehnen, darüber plaudern zu wollen, finden sie sich unversehens in der Abschiebehaft wieder. Das ist eine der Nummern, bei der vielleicht noch nachjustiert werden könnte bis zur echten Premiere: Sie wirkt noch etwas zu gewollt und zu wenig stringent.

Zwischen den Ensemblenummern präsentieren sich alle auch mal solistisch. Da gibt es die mittlerweile wohl unvermeidbare Trump-Parodie, in der das Publikum schier ins Koma gequatscht wird, eine sehr nachdenkliche Nummer über Frauenbilder oder den Vortrag von Professor Brettschneider, Dozent für Asozialpädagogik über Helikoptereltern, die die Tochter bei der ersten Fahrradfahrt ins Uniseminar vorsichtshalber im SUV auf dem Fahrradstreifen begleiten. Alles hat Witz und hohes Tempo, nur manchmal spürt man einen Moment lang, dass die Kabarettisten kurz nachdenken müssen. Die Routine fehlt natürlich noch. Doch das ist wie ein kurzer Blick in die Werkstatt dieser öffentlichen Probe und eher Bereicherung als Defizit. Auch musikalisch haben die Vier was zu bieten. Am Klavier, mit Hartschalenkoffer-Drums und der Gitarre produzieren sie einen hammermäßigen Sound nebst vokalen Einsprengseln, der aber nie zur echten Nummer gerät, sondern nur als Überleitung fungiert. Ein paar reine Unterhaltungsnummern ohne missionarischen Ehrgeiz gibt es vereinzelt auch. Am schönsten das Englisch-Training zweier Oberbayern: "How goes?" - "Must! And self?" - "Fills already." - "Häh??" - "Passt scho!".

Vielen aus dem Herzen gesprochen hat wohl auch die Dialognummer eines Paares, das gnadenlos aneinander vorbei redet. Ihr Fazit: "Ich lass' mich scheiden! Ich wander' aus! Ich bring' mich um!" Pause. "Nee - ich bring' ihn um!" Das hat gefühlt an diesem Abend die lautesten Lacher. Bei der anspruchsvollsten Nummer, was das Spielen angeht, der Achterbahnfahrt mit dem Reformkurs, dem wildesten Fahrgeschäft im ganzen Europa-Park, die nur durch Körperbewegungen und Geschrei simuliert wird, zeigt sich noch Probenbedarf: "Ihr fahrt in 'ner ganz anderen Bahn, ihr zwei!" Geistesgegenwärtige Replik: "Tja, das kann Theater!" In der erklatschten Zugabe aus dem alten Programm wird deutlich, dass die Vier mit mehr Spielroutine tatsächlich noch besser sind.

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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