In der Stadthalle Penzberg:Freischaffender Kommunist

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Axel Hacke, 63, weiß, wie er die Menschen mit feingeistigen Texten in seinen Bann ziehen kann. Was er liest, entscheidet er spontan. (Foto: Manfred Neubauer)

Was ein Buchstabendreher so ausmacht: Axel Hacke begeistert das Publikum in Penzberg

Von Viktoria Spinrad, Penzberg

Neulich hat Axel Hacke Post von einer Lehrerin bekommen. Sie berichtete, wie Schüler zuletzt ein Referat über ihn hielten. Die Einführung: "Axel Hacke lebt als freischaffender Kommunist in München." Eben dieser Axel Hacke lehnt sich am Donnerstagabend in der Penzberger Stadthalle auf der Bühne vor. "Ich weiß ja nicht, wie es in Penzberg ist, aber in München ist es nicht möglich, als freischaffender Kommunist seine Familie zu ernähren. Das wirft nicht genug ab!"

Und natürlich hat der vielfach ausgezeichnete SZ-Kolumnist die Lacher der knapp 250 Gäste auf seiner Seite, er dürfte es nicht anders gewohnt sein. Verlässlich wie ein Schweizer Uhrenwerk gibt sich das Penzberger Fan-Publikum seinen Ausschweifungen hin - egal, ob der Schriftsteller über das Penzberger Nachtleben sinniert, in Trumpschem Duktus Kreise zieht oder aus 230 Seiten Monolog rezitiert.

Und das tut er lange. Die erste Hälfte seiner Lesung widmet er seinem neuen Werk, "Wozu wir da sind". Darin soll sein Alter Ego Walter Wemut eigentlich eine Geburtstagsrede vorbereiten, kommt dann aber durch wildes Assoziieren von Hölzchen auf Stöckchen: vom Zeitungshändler zum Philosophieren über das Verkraften und die "Toten der Woche" in seiner wöchentlichen Nachruf-Seite in der Zeitung, zurück zu seiner Rede.

Was erst einmal anstrengend klingt, doch Hacke wäre nicht Hacke, wenn er die Gedankenspiele zu einem gelungenen Leben nicht mit einer launigen Leichtigkeit verpacken würde. So lässt der publizistische Totengräber der Zeitung Bush Senior und Karl Lagerfeld einfach weg, den amerikanischen Schlagersänger Gus Backus aber nicht. Die Botschaft: Die wirklich interessanten Dinge liegen im Kleinen, im Alltag, genau wie das Glück, dessen Suche die Menschen wie Weitsprung betreiben, was ohnehin verlässlich nach hinten losgeht. Zwar keine neuen Erkenntnisse, die aber in diesen unübersichtlichen Zeiten Gedanken wie Trostpflaster wirken.

Zum Beispiel, als Hacke den verwirrenden und zermürbenden Brexit aufgreift, mit den Händen wedelt und gewohnt hyperbolisch ad absurdum treibt. Dass alle drei Monate eine Delegation anreist und um Verschiebung bittet, ja, dieser rituelle Vorgang gefällt ihm, und wahrscheinlich wird es einfach immer so weitergehen, Jahrzehnte, ach, Jahrhunderte, irgendwann wird keiner mehr wissen, was dieser Brexit überhaupt ist, jetzt formt Hacke seine Hände zu einer Art Turm zu Babel und prognostiziert mit todernsten Gesichtsausdruck: "So entwickeln sich hohe Feiertage!"

Als verlässliches Identifikationsfutter entpuppt sich auch Hackes Konstrukt des "Partnerschaftspassivs". Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit, da eine Christbaumkugel mal geholt oder aufgehängt "werden müsste". Am besten vom Partner, schließlich hat der Mensch die Gabe, selbst die kleinsten Aufgaben zu monströsen Sisyphusbergen wachsen zu lassen. Was nun zählt und hilft, reicht Hacke in Penzberg in Gestalt Walter Wemuts: Denn geht es nicht darum, etwas zu finden, was einen berührt, mitnimmt, ergreift, etwas, was einen hier hält? Ein Mensch? Ein Berg? Eine Kröte? Ein Kaktus? Eine Arbeit? Eine Liebe? Eine Freundschaft? Oder zwei? Eine Begeisterung? "Pause", flüstert der Kommunist, äh, Kolumnist. Eine abrupte Unterbrechung, die die Penzberger ihm nicht übel nehmen: In der nächsten halben Stunde werden sie für eine Signatur vom Seelentröster Schlange stehen.

© SZ vom 07.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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