Klangwelt Klassik:"Musik, für die wir in der Heimat verhaftet worden wären"

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Das Eliot-Quartett mit der Einspringerin Polina Babinkova als zweiter Geigerin. (Foto: Klangwelt Klassik/oh)

Beim "Ickinger Frühling" brilliert das Eliot-Quartett mit Haydn, Silvestrov und Schostakowitsch - und betet für Frieden mit der Zugabe von Arvo Pärt.

Von Friedrich-Karl Bruhns, Icking

Am zweiten Tag des Kammermusik-Wochenendes "Ickinger Frühling" spielen nach den beiden großartigen Klaviertrios vom Samstag wieder Streichquartette in der Aula des Rainer-Maria-Rilke-Gymnasiums. Bei der Matinee ist das Eliot-Quartett erstmalig in Icking. Ihr kanadischer zweiter Geiger musste absagen, für ihn ist kurzfristig Polina Babinkova eingesprungen. Sie kommt aus Russland, wie die Primaria Maryana Osipova und der Bratscher Dmitry Hahalin. Beide sind schon lang in Deutschland, haben hier einen großen Teil ihres Studiums absolviert und es abgeschlossen. Der Vierte im Bunde ist Michael Preuss am Cello.

So, wie die Eliots das g-Moll-Quartett op. 74/3 von Joseph Haydn angehen, hört man sofort: Das ist für sie kein "nettes Stück zum Warmspielen" (Haydns Musik wird noch immer viel zu oft so missverstanden). Sie machen gleich bei den Anfangsnoten mit ihren harten Vorschlägen neugierig darauf, wie es weitergeht. Prägend bleiben das gesamte Allegro hindurch die ineinander verschränkten, wiederkehrenden Triolen in allen vier Instrumenten. Das feierliche Largo wird zum wunderbar ruhigen Gegenpol, auch zum dritten Satz, einem leichtfüßigen, scheinbar simplen Menuett. Den späteren Beinamen "Reiterquartett" bekam das Werk wohl nach dem vorantreibenden Thema des ungestümen Finales. Die Musiker steigern die Spannung immer wieder durch minimal länger gehaltene Pausen - so geht gekonnte filigrane Phrasierung.

Von Beginn an besticht der volle, herrlich warme Klang der Streicher, er scheint zum Markenzeichen des Eliot-Quartetts zu werden. Selbst an ganz zurückgenommenen, berührenden Piano-Stellen dünnt die Musik nie aus, auch der leiseste Ton hat stets Substanz und Charakter.

Szenenwechsel zum Streichquartett Nr. 3 des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov (*1937). Er musste Anfang 2022 vor der drohenden Verhaftung fliehen und lebt jetzt in Berlin, in Russland ist seine Musik verboten. Man hört und spürt, unter welchem Druck der Komponist schon 2011 stand. Das äußert sich bei ihm weniger in Verzweiflung, seine Musik sucht vor allem meditative Stille. Gelegentlich, etwa zu Beginn einiger der sieben Teile scheint sie kurz und heftig aufzubegehren, wird wild - aber schnell kommt sie wieder zurück zu dem dichten, vielfältig harmonischen Klanggewebe und findet in sich selbst Ruhe, am Ende vielleicht sogar Frieden.

Die 15 Streichquartette von Dmitrij Schostakowitsch sind der wichtigste Beitrag zu dieser Gattung im 20. Jahrhundert. Das dritte (F-Dur, op. 73), eins der längsten, ist wie fast alle gekennzeichnet durch extreme Kontraste. Ein tänzerisches Allegretto wandelt sich schlagartig zu einer bedeutungsvollen Doppelfuge; dem grotesken zweiten Satz folgt ein wild-aggressives, atemloses Allegro. Das Zentrum des Werks ist, wie so oft bei ihm, eine düstere, bedrückende Passacaglia.

Dem Eliot-Quartett gelingt es auf begeisternde Weise, all diese Facetten und Gegensätze deutlich auszuleuchten und zum Leben zu bringen. Spätestens jetzt ist Polina an der zweiten Violine kein Ersatz mehr, es berührt tief, zu sehen und zu hören, wie dies auch ihre Musik ist und sie mit den anderen zu einer Einheit verschmilzt.

Danach hätte es nichts mehr gebraucht, aber der Bratscher kündigt in einer bewegenden kurzen Ansprache eine Zugabe an: "Wir durften hier Musik spielen, für die wir in der Heimat von drei von uns heute verhaftet worden wären - einer gelang erst vor wenigen Monaten die Flucht mit ihrer Familie." Und es ist klar, warum den Künstlern dieses Stück so wichtig war: "Da Pacem Domine" (Schenke Frieden, Herr) des estnischen Komponisten Arvo Pärt.

Förderung der Jugend

Der "Ickinger Frühling" fördert auch aktiv junge Talente. Seit 2017 lädt er Kammermusik-Nachwuchs, der sich bei Jugend-Musikwettbewerben besonders qualifiziert hat, zu einem Kurzprogramm ein. Am Sonntag zeigte das Antonín-Quartett, was es kann, das sind die Geschwister Anton, Konrad und Viktor Gmelin und der erste Geiger Anton Carus. Der Jüngste ist gerade 14, der Älteste 18 Jahre alt, sie haben den ersten Preis beim Landeswettbewerb "Jugend musiziert" 2023 und einen Sonderpreis abgeräumt.

Mit Sätzen aus Beethovens op. 18/4, aus Schostakowitschs 8. Streichquartett und dem Finale aus dem "Amerikanischen Quartett" von Antonín Dvořák beweisen sie, warum sie so erfolgreich sind - da sitzen fast noch Kinder auf dem Podium und machen klassische Musik mit unglaublicher Professionalität und fast spielerischem Können. Die vier sehen wir sicher bald im Hauptprogramm wieder.

Eins der führenden tschechischen Ensembles, das Pavel-Haas-Quartett, beschloss abends mit dem G-Dur-Quartett von Franz Schubert und dem letzten Streichquartett von Dvořák, dem Opus 106, den Ickinger Frühling 2023. Der Verein Klangwelt Klassik und seine vielen Helferinnen und Helfer, die meisten noch im Schulalter, haben dem Publikum mit Hingabe und reibungsloser Organisation wieder zwei Tage großer musikalischer Klasse beschert - und vor allem große Lust auf die nächsten Konzerte in Icking gemacht.

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