Chorkonzert:Dem Tod ins Gesicht sehen

Lesezeit: 3 min

Perfekt eingespielt: Das Vokal-Ensemble Icking und ein kleines Streichensemble unter der Leitung von Peter Marino überzeugen in der gut besuchten Heilig-Kreuz-Kirche. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das Vokal-Ensemble Icking unter der Leitung von Peter Marino feiert den Totensonntag mit Rheinbergers "Stabat mater" und der "Missa pro defunctis" des Neapolitaners Niccolò Jommelli.

Von Paul Schäufele, Icking

Auch den bedrückendsten Themen kann man mit Gelassenheit begegnen. Das jedenfalls ist die Quintessenz des Konzerts, mit dem das Vokal-Ensemble Icking am Sonntag sein Publikum begeistert. Mit Ausgewogenheit, Ruhe und bisweilen gemessener Heiterkeit widmen sich die Musizierenden der "Missa pro defunctis" des Neapolitaners Niccolò Jommelli, um dem Totensonntag einen passenden musikalischen Rahmen zu bereiten.

Den Anfang macht indes das "Stabat mater" des geborenen Liechtensteiners und späteren Wahl-Münchners Josef Gabriel Rheinberger. Der im 19. Jahrhundert populäre Komponist hat eine ganz persönliche Art und Weise gefunden, dem mittelalterlichen Text vom Verlustschmerz der Muttergottes angesichts des toten Jesus ein musikalisches Gewand zu weben: raffinierte harmonische Wechsel in verblüffend schlichtem Satz. Chorleiter Peter Marino muss daher wenig Mühe aufwenden, um die versierten Sängerinnen und Sänger zu koordinieren und kann sich ganz auf die Klanggestaltung konzentrieren, auf die elegante, natürliche Phrasierung der weit gespannten melodischen Linien und dynamische Differenzierung.

Ein verhalten optimistischer Schluss

Unterstützung erhält er dabei von einem kleinen Streichensemble, das in Rheinbergers Stück eher für die Färbung des Hintergrunds verantwortlich ist. Auffällig wird es nur, wenn es fehlt, so bei der effektvollen Vertonung des Verses, der von der Einsamkeit des Sterbenden spricht. Hier schweigt die Begleitung und nur der Chor deklamiert, so klangschön wie textverständlich. Einzig der darauf folgende Einsatz von "Eia mater, fons amoris" in Tenor und Bass enttäuscht ein wenig, was weniger an der Qualität der Sänger liegt als an ihrer Zahl. Männer sind hier, wie in vielen anderen Laienchören, schwach besetzt. Umso erstaunlicher ist, dass die Schlussfuge so ausbalanciert gestaltet werden kann und damit Rheinbergers Werk zu seinem verhalten optimistischen Schluss verhilft.

Ein stilistisch völlig andersgeartetes Werk ist Jommellis Totenmesse. Der Frühklassiker war einer der erfolgreichsten Opernkomponisten seiner Zeit, zumal während seiner Jahre am württembergischen Hof Herzog Karl Eugens. Entsprechend bewegt präsentieren sich daher vor allem die Solo-Stimmen der Messe. Und doch zeigt auch dieses im Geburtsjahr Mozarts entstandene Werk einen Zug ins Milde, vorsichtig Positive, der späteren Requiems-Vertonungen eher fremd ist.

Hier kommt niemand in Atemnot

Wie aus dem Nichts kommen die ersten Es-Dur-Akkorde angeschwebt, aus dem Bereich ewiger Ruhe, von der der lateinische Text spricht. Dass sich dieser Eindruck auch beim Publikum einstellt, liegt an der Souveränität, mit der Marino seinen Chor leitet. In weit über zehn Jahren gemeinsamen Arbeitens hat sich in der Kommunikation zwischen Leiter und Chor eine Selbstverständlichkeit eingestellt, auf deren Grundlage sich so unproblematisch musizieren lässt. Daneben hat Marino auch die technischen Voraussetzungen immer im Blick. Hier kommt niemand in Atemnot, Spitzentöne treffen ins Schwarze, Transparenz ist immer gegeben.

In diese Konstellation finden sich die vier Solistinnen und Solisten ohne Probleme ein. Besonders deutlich wird das im Quartett des "Recordare". Beate Kiechles beweglicher Sopran trifft dabei auf den ungewöhnlich schlanken, klaren Alt von Franziska Weber. Dazu gesellt sich Haozhou Hu. Der junge Tenor, noch in der Ausbildung und doch künstlerisch reif, findet etwa im Vers, in dem sich die Stimme an Gott als Richter wendet, zu beeindruckender Dringlichkeit. Alexander Rampp (Bass-Bariton) steht ihm darin in nichts nach, wie zum Beispiel das mit großem Ton ausgesungene "Hosanna" belegt. Zumal in diesen Momenten kann und will Jommelli nicht verschleiern, dass er in erster Linie Opern komponiert hat. Ja es gibt, so scheint es, keinen wesensmäßigen Unterschied zwischen dieser Musik und der seiner Bühnenwerke.

Beide präsentieren einen Blick aufs Leben, der dessen Ende einschließt, darum aber nicht resigniert. Entsprechend heiter klingt etwa das "Sanctus", hell, strahlend und vom Chor mit veritablem Tanzcharakter ausgestattet. Das könnte auch die Bühnenmusik zu einer Ensembleszene am Ende eines Aktes sein.

Die Qualität der Musik und ihrer gelungenen Aufführung von Marino und seinem Ickinger Vokal-Ensemble provozieren großzügigen Applaus. Da ist es nur gut, dass der Chor um eine Zugabe nicht verlegen ist. Und wie könnte es anders sein, es handelt sich um Rheinbergers berühmteste Komposition, das oft und oft gehörte "Abendlied". Im Halbkreis an den Seiten der Pfarrkirche Heilig Kreuz verteilt, bringen die Sängerinnen und Sänger eine letzte Bitte vor, mit denen das Publikum in seine eigenen Gedanken entlassen wird: "Bleib bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget." Darüber lässt sich in der Abendkälte des Totensonntags vielleicht gut reflektieren. Im Zweifelsfall aber bleibt es einfach ein Stück zauberhafter Chormusik, kundig aufgeführt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bildende Kunst
:Was bleibt vom Leben

Max Schmelcher gestaltet im Waldramer Badehaus eine "Künstlerische Intervention", die sich erstaunlich gut in den Erinnerungsort einfügt. Der Allgäuer Bildhauer arbeitet mit Materialien, die nicht vergessen.

Von Stephanie Schwaderer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: