Geretsried:Vorerst angekommen

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Die ersten 17 Flüchtlinge sind in die Unterkunft am Robert-Schumann-Weg eingezogen. Dort werden noch 60 weitere Asylbewerber erwartet.

Von Thekla Kraußeneck

Der blaue Reisebus biegt gegen elf Uhr in den Robert-Schumann-Weg in Geretsried ein und parkt vor dem Container. Türen und Gepäckfach öffnen sich, die Fahrgäste - 16 Afghanen, Syrer, Iraker und ein Mazedonier - steigen aus. Rollkoffer rasseln über Asphalt, Männer schleppen Tragetaschen, Frauen packen Tüten in Kinderwägen. Eine Mutter wickelt ihre acht Monate alte Tochter in eine Kuscheldecke, eine andere trägt eine Waschwanne voll Fladenbrot auf den Vorhof der Gemeinschaftsunterkunft. Dort werden die Neuankömmlinge herzlich empfangen: Mitarbeiter des Landratsamts stehen neben Ehrenamtlichen in der Sonne, unter ihnen Bärbel Gerlach, Suzan Jarrar und der Afghane Matiullah Schinwari, der vor anderthalb Jahren als einer der ersten Asylbewerber nach Geretsried gekommen ist.

"Jetzt kann's endlich losgehen", sagt Daniel Waidelich, Leiter der Abteilung für Soziale Angelegenheiten im Landratsamt. Das klingt ein wenig, als wäre die Asylarbeit im Landkreis für ihn an einem Schlüsselmoment angekommen - was stimmen mag. Der Container-Bau ist die erste Sammelunterkunft in der Region. Lange hatte sich der Kreis gegen solche zentralen Unterkünfte gesträubt und auf dezentrale Lösungen gesetzt. Dann kapitulierte er vor den Prognosen: Bis Ende 2014 sollen 500 Asylbewerber in den Kreis kommen. Für die wäre ohne die Container kein Platz.

Alfred Krämer, der die Einrichtung vorerst leiten wird, ruft die Flüchtlinge einen nach dem anderen zu sich ins Büro, um die Formalitäten zu erledigen. Registrierung der Namen, Auszahlung von Geld, Vergabe der Schlüssel. Das dauert. Bärbel Gerlach, Koordinatorin der Ehrenamtlichen, verteilt strahlend Schokolade. Die Stimmung ist gut. Durch das schöne Wetter wirke alles noch freundlicher, merkt Waidelich an. Doch den Flüchtlingen steht ein zermürbender Weg bevor. Das Warten. Zwar werden nur wenige abgeschoben, sagt Waidelich. Aber weniger als ein Prozent werden auch anerkannt. Die übrigen werden nur geduldet, was heißt, dass sie jedes Jahr zurückgeschickt werden könnten.

In Zimmer Nummer 108 bauen Ann-Cathrin Singer, Asylrechts-Mitarbeiterin im Landratsamt, Azubi Jonas Bandner und Gabriele Lehmann ein Kinderbett auf. Die Kleinen - drei Mädchen und zwei Jungen, einer davon schon neun Jahre alt und deshalb als einziger schulpflichtig - haben sich Spielzeuge geschnappt, ein Junge saust auf einem roten Spielauto durch den Flur. Der Afghane Matiullah Schinwari wohnt jetzt im Obergeschoss der Unterkunft, um für die Dari sprechenden Afghanen zu dolmetschen. Schinwari kann sich inzwischen flüssig auf deutsch unterhalten; er steht draußen bei den Afghanen Haidary Latif, Ramin Sharify und Mahdi Noori, die zwei Monate lang in der Münchner Erstaufnahmestation gewesen sind. "Sie sind froh, dass so viele Leute gekommen sind, um zu helfen", übersetzt Schinwari.

Auch Jamal Masoud, ein anderer junger Afghane, der seit acht Monaten in Geretsried ist, will künftig als Dolmetscher helfen. Er steht bei der 19-jährigen Roeja Shikhzada, als sie einen Zettel aus der Tasche zieht und ihn der ehrenamtlichen Helferin Suzan Jarrar zeigt: eine Erinnerung an einen Termin bei einem Frauenarzt in München, der an diesem Mittwoch stattfinden sollte. "Den müssen wir absagen", sagt Suzan Jarrar und holt ihr Handy aus der Tasche. Sie werde ihr bei einer hiesigen Frauenärztin einen Termin vereinbaren, sagt Jarrar. Denn Shikhzada steht in doppelter Hinsicht ein neues Leben bevor: Sie ist im achten Monat schwanger. Mit dem 24-jährigen Murtaza, ihrem Mann, ist sie aus Afghanistan geflohen. Das Ungeborene wird ein Mädchen, dolmetscht Masoud. Sie soll Sahera heißen.

© SZ vom 27.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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