Geretsried:Sägen, nähen und hämmern

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In der Werkstatt kann jeder selbst Hand anlegen. (Foto: privat/oh)

Die Mitglieder des Vereins Nagel und Faden betreiben seit knapp zwei Jahren ihre offene Werkstatt am Bunsenweg. Willkommen ist jeder, der Spaß am Basteln hat oder anderen etwas beibrigen möchte.

Von Annika Nopper, Geretsried

Nach einer Werkstatt sieht die kleine Küchenzeile mit dem großen Holztresen neben der Tür nicht wirklich aus. Auf dem großen Tisch im Eingangsbereich stehen selbstbedruckte Tassen mit dem Vereinslogo neben einer Schale Mandarinen, und die Stühle passen nicht ganz zusammen. Durch das Näh-Café hindurch blickt man von hier aus lediglich auf einen Vorhang, der restliche Arbeitsbereich verschwindet hinter selbstgebauten Pressspanwänden. Eine Holzplattform schwebt über der Küche, auf ihr stapeln sich gut 30 Stühle. "Die sind ausrangiert aus einem Altenheim. Wir haben sie für Veranstaltungen hier", erzählt Gabriele Rogge, Vorsitzende des Vereins Nagel und Faden, die mit Vorstandsmitglied Michael Weber und Vereinsmitglied Horst Haslach durch die Räume am Bunsenweg in Geretsried führt. Vor zwei Jahren haben Rogge und ihre Mitstreiter dort ihre Idee der offenen Werkstatt zur Realität gemacht.

Seit August 2021 gibt es in der kunterbunten Halle ein regelmäßiges Workshop-Programm des Vereins. Das Kerngeschäft bis jetzt sind die offenen Werkstattzeiten mit Holz und Textil. "An Metall, Keramik und Papier arbeiten wir noch", sagt Weber. Willkommen sind also nicht nur Bastelinteressierte. Auch alle, die selbst einen Workshop anbieten möchten, rennen bei Nagel und Faden offene Türen ein. Rogge verspricht: "Wir können über alles reden." Man kann die Räumlichkeiten auch für Veranstaltungen anmieten: "Es gab schon Parteien und andere Organisationen, die sich hier versammelt haben. Oder Kindergeburtstage." Aber der Werkstattbetrieb zu den Workshopzeiten und den regulären Öffnungszeiten am Donnerstag, Freitag und Samstag von Nachmittag bis Abend gehe natürlich vor.

Auf den 350 Quadratmetern der ehemaligen Industriehalle gibt es einiges zu entdecken: Nähmaschinen, Hobelbank und Drechselmaschine, viel Platz für große Projekte und eine Formatkreissäge, der ganze Stolz des Vereins. Die ist mit ihrem Wert von 8000 Euro auch mit Abstand die teuerste Anschaffung in der Werkstatt - nicht zuletzt, weil fast alle Geräte, Werkzeuge und das Mobiliar Sachspenden, Secondhand oder Marke Eigenbau sind, natürlich in der Werkstatt gebastelt, berichten die drei Ehrenamtlichen voller Stolz.

Auch selbstgezogene Kerzen gehören zum Repertoire bei Nagel und Faden. (Foto: Privat/oh)

In der Werkstatt geben Schilder Orientierung. Als Erstes landet man im Textilbereich. Auf unterschiedlich großen Tischen stehen vier Nähmaschinen - alle gebraucht angeschafft - mit bunten Tüchern bedeckt. Rechts an der Wand befindet sich der Stoffvorrat. Die hohen Regale, die in einem normalen Raum bis zur Decke reichen würden, quillen über mit bunten Stoffen. Wer zum offenen Näh-Café ohne eigene Materialien kommt, darf sich dort gegen eine angemessene Spende bedienen.

Durch einen schwarzen Vorhang geht es weiter in den "großen Raum". Ein mit etwa 15 Stühlen bestückter großer Tisch ist dort der Raumesmittelpunkt. In der Ecke versteckt sich hinter Regalen die zukünftige Metallwerkstatt. Bis dato gibt es nur eine Werkbank. Eine Fräsmaschine oder eine weitere Werkbank fehlen noch, bevor es so richtig losgehen kann. Wer also eine loswerden wolle, solle sich bitte melden, appelliert Horst Haselach, treibende Kraft für den Ausbau der Metallwerkstatt im Verein.

Die Vereinsvorsitzende Gabriele Rogge hat sich den Traum von einer offenen Werkstatt für alle erfüllt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Hinter einer grünen Metalltür befindet sich das Repair-Café, oder wie Rogge den Raum beim Betreten schmunzelnd nennt: "die Eiskammer". In die kleine Kammer kommt nämlich nur jeden zweiten Freitag etwas warme Luft. Dann wird hier beim Repair-Treff alten, kaputten Elektrogeräten neues Leben eingehaucht. Ganz unter dem Gebot der Nachhaltigkeit kann man hier seine elektronischen Alltagsgegenstände wie Toaster, Kaffeemaschinen, aber auch blinkende Spielzeugmikrofone unter Anleitung selbst reparieren. Es handle sich oft um Dinge, bei denen es sich kaum lohne, einen Profi einzuschalten, die aber leicht selbst zu reparieren seien, sagt Haselach. "Da ist es teurer, den Föhn vom Spezialisten anschauen zu lassen, als einen neuen zu kaufen."

Der letzte und größte Raum des Rundgangs ist die Holzwerkstatt. Überall sieht man dort kleine und große Holzreste, dazwischen Hobelbank, Drechselmaschine, Bandsäge, Kreissäge und die zwei mal zwei Meter große Formatkreissäge, die eine Ecke der Werkstatt einnimmt. Dort fühlt sich sogar der größte "Do-it-yourself"-Muffel berufen, sich eines der Bretter zu schnappen, die an den Wänden lehnen, sich in Arbeitskleidung zu werfen und einen Brotkasten zu basteln.

Unfertige Basteleien und angefangene Werkstücke sind an jeder Ecke zu entdecken. Sie warten nur noch auf die letzten Schliffe. Die Halle selbst ist jedoch ein Dauerprojekt. Das Inventar wächst ständig. So werden aktuell die Regale ausgetauscht - es braucht mehr Platz - und im Frühjahr soll der neue Webstuhl eingeweiht werden. Die wichtigste Anschaffung in naher Zukunft ist aber eine neue Heizung. Aktuell behelfen sich die Werker und Werkerinnen noch mit Heizpilzen und Vorhängen vor den kaum gedämmten Fenstern. Eine Dauerlösung sei das aber nicht, sagt Rogge. Ohne das Crowdfunding der Raiffeisenbank könne sich der Verein eine wärmere Halle allerdings abschminken, betont er, denn an der Finanzierung der monatlichen Hallenkosten von etwa 2500 Euro habe man bereits genug zu kauen. 10 000 Euro kamen bei der Spendenaktion zusammen. Auch die 7500 Euro Startkapital, mit denen alles begann, verdankt der Verein Unterstützern und Unterstützerinnen eines solchen Crowdfundings.

Die große Formatkreissäge ist der Stolz des Vereins. (Foto: Privat/oh)

Neben all den tollen Projekten sei die Akquise von Fiananzen leider auch ein Thema, sagt Michael Weber. Grundstock sind die Vereinsbeiträge der Mitglieder und die Nutzerbeiträge, also die zehn bis 40 Euro, die man für Workshops zahlt, sowie die Fünf-Euro-Stundenbeiträge in der offenen Werkstatt. Dazu kommen einmalige Spenden. Weil das aber noch nicht reicht, müssen die Vereinsmitglieder kreativ werden. So kann man etwa eine Quadratmeter-Patenschaft für ein beliebiges Stück Halle abschließen. Ein buntes Plakat im Eingangsbereich zeigt die vergebenen Kacheln mit den Namen der jeweiligen Spender.

"Es ist alles noch am Anlaufen", sagt Rogge, die sich gerade eine Schale Chili con Carne von der Weihnachtsfeier am Vortag warm macht. Aber egal ob Anfängerin, Gelegenheits-Bastler oder Handwerkerin: In der offenen Werkstatt gebe es für jeden etwas zu tun. "Einfach mal vorbeischauen", rät Rogge. Auch wer selbst eine Formatkreissäge im Keller hat, sei angesprochen. Denn das Motto laute: "Zusammen macht es mehr Spaß."

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