Konzert in Geretsried:Singende Gipfelstürmer

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Werke unter anderem von Josef Gabriel Rheinberger und Edward Elgar hat der Isura Madrigal Chor in Geretsried dargeboten. (Foto: Manfred Neubauer)

In seinem Frühlings-Programm "O Täler weit, o Höhen" macht sich der Isura Madrigal Chor auf einen Streifzug durch die romantische Chorliteratur.

Von Paul Schäufele, Geretsried

Am Ende ein zufriedenes Verschnaufen. Man blickt in lächelnde Gesichter. Schließlich sind diese gut vierzig Damen und Herren eben durch Täler gewandert, haben Gipfel erklommen. Denn das Programm, mit dem der Isura Madrigal Chor den Frühling begrüßt, führt durch die Höhen und Tiefen der europäischen Romantik. Mal tänzerisch beschwingt, mal melancholisch verhalten. Der Geretsrieder Chor zeigt in der Aula des Schulzentrums sein Können und wird dafür zu Recht ausgiebig beklatscht.

Bezeichnenderweise macht man sich mit Hugo Wolfs "Fußreise" auf den Weg. Über die glucksend heitere Klavierbegleitung, die Aya Meinel beisteuert - stets zuverlässig, wenn auch auf einem ziemlich fürchterlichen Flügel - wölben sich Phrasen in rundem, ausgewogenem Klang. Johannes Buxbaums klares Dirigat zeigt Wirkung. Dieser Chor weiß Phrasen zu konstruieren. Dass am Anfang manche Spitzentöne noch etwas bröckeln, wird beim Schlussapplaus schon vergessen sein. Buxbaum freut sich, dass zu dem "kleinen Ausflug in die Berge" das Publikum so zahlreich erschienen ist, kein Platz ist leer. "Die Fernsicht ist perfekt", sagt der Chorleiter. Das ist im meteorologischen Sinn so zutreffend wie im musikalischen, denn die Konzertdramaturgie des Abends könnte befriedigender nicht sein.

"Die Fernsicht ist perfekt", so der Chorleiter Johannes Buxbaum. (Foto: Manfred Neubauer)

Erste Station der Reise sind die Voralpen, denn die acht Chorlieder "Am Walchensee" des Liechtensteiners und Wahl-Münchners Josef Gabriel Rheinberger entstanden während eines Kuraufenthaltes in Bichl. "Keine Ahnung, ob's geholfen hat", sagt Buxbaum. Die Musik lässt darauf keine Rückschlüsse zu, zeugt aber von der Inspiration, die Rheinberger in der Region empfangen hat. Der Isura Madrigal Chor setzt sie um in ausdrucksvolle Musik, die um die typisch romantischen Themen Einsamkeit, Trauer und unerwiderte Liebe kreist, aber auch das Verhältnis zur Natur klanglich darstellt. Schon das Eingangslied "Auf dem Baumstamm im Moos" endet mit der Frage "Willst du, dass ich weinen muss, und mich dann verlassen?" Der Chor gestaltet jede Silbe mit vorbildlicher Aufmerksamkeit, die Schlussfrage bleibt schmerzlich im Raum hängen.

Andere Ausdrucksextreme verlangt das wilde "Auf der Heide saust der Wind". Auch diesem Wetterphänomen ist der Chor in diesem wie im folgenden Lied ("Nordwind") gewachsen, was an der professionellen Stimmbildung der Sängerinnen und Sänger liegt, aber auch am Dirigat Johannes Buxbaums. Jede der Gesten spricht, die Kommunikation mit dem Chor, den er seit 2010 leitet, ist direkt und unmissverständlich. Schnell kann das Ensemble auf jeden Wink reagieren. So entstehen in den Wind-Stücken dramatische Effekte durch die dynamische Bandbreite, die Buxbaum entstehen lässt: vom mysteriösen, gleichwohl tragfähigen Pianissimo-Säuseln bis zum Fortissimo-Ausbruch, der Bäume wanken lässt. "Dein Bub, dein wilder Bub ist da" - der Vers bekommt dadurch geradezu bedrohliche Stimmung.

Einen Streifzug durch die Romantik und die heimische Bergwelt bot der Isura Madrigal Chor. (Foto: Manfred Neubauer)

Abschied von den teils berückend schönen Charakterstücken nimmt der Chor in komplexen romantischen Akkordgängen, die Rheinberger seinem "Die Sonn' ist unter" gegeben hat. Im letzten Stück gewinnt der Gesang bei aller Rundung eine schwebende Qualität, der letzte Satz "Zeit ist's, dass wir geh'n" entführt schon an den imaginären Sehnsuchtsort, dem sich die Romantik durch Kunst annähern wollte. Obwohl man sich auch in der Wirklichkeit fragen könnte, ob ein so ausgefeiltes Programm an einem andern Ort als der Aula des Geretsrieder Schulzentrums nicht besser gewirkt hätte, vielleicht als Freiluftkonzert.

"From the Bavarian Highlands" ist ein herausforderndes Werk

Wie dem auch sei, eine musikalische Idylle gibt es in Felix Mendelssohn Bartholdys "Ruhethal", in dem der Chor einmal mehr seine Kunst des Legato zeigt. Es ist auch eine kleine Pause, die man sich damit gönnt, denn Edward Elgars "From the Bavarian Highlands" ist ein herausforderndes Werk. Die sechs Lieder, Reminiszenzen an die Urlaube, die das Ehepaar in den 1890er-Jahren in Bayern - vor allem in Garmisch - verbrachte, haben es in sich: Rhythmische Prägnanz ist ebenso gefordert wie eine Vitalität, mit der Elgar an die Schnaderhüpferl und das Schuhplatteln anknüpfen wollte. Für den Isura Madrigal Chor ist das kein Problem. Den einleitenden Tanz singt man agil, lustig, die punktierten Rhythmen werden präzise mit Leben gefüllt, bis zum strahlenden Schlussakkord. Von dort geht es unmittelbar hinab in die Untiefen menschlicher Empfindung. "False love" spricht vom Schmerz erlebter Untreue. Erschütternd der Moment, da die sensible Klavierbegleitung aussetzt und der Chor a cappella singt: "Ever true was I to thee" - immer treu war ich zu dir. Die Wirkung ist stark, weil hier Klangschönheit, Ausdruckswille und eine gut trainierte Aussprache des Englischen zusammentreffen. Wiegende Melodien und robuste Phrasen markieren die folgenden Lieder des englischen Komponisten. Der Laienchor widmet sich ihnen mit sichtbarer Leidenschaft.

Dafür gibt es reichlich Applaus, auf den der Isura Madrigal Chor nicht unvorbereitet reagiert. Das Ensemble antwortet mit einer Bearbeitung von "Kein schöner Land in dieser Zeit". Originell harmonisiert und mit eingebauten, gesungenen Glockenklängen begleitet der Chor sich hier eigenständig: Diese Stimmen sind sich selbst genug, um zarteste Tongebilde zu produzieren.

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