Kunst aus Gaißach:Hommage an e.lin

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Der Künstler Erwin Wiegerling vor seinem Bewegungsprofil "Blau". (Foto: Harry Wolfsbauer)

Im Atelier von Erwin Wiegerling wird erstmals eine Auswahl seines umfangreichen Werks in einer Ausstellung gezeigt.

Von Petra Schneider, Gaißach

Das Atelier von Erwin Wiegerlin im Gaißacher Gewerbegebiet sieht ungewohnt aufgeräumt aus. Im Hauptraum der ehemaligen Fabrikhalle, die Wiegerling 1997 gekauft und in sein Atelier "Forum Lin" verwandelt hat, ist das kreative Durcheinander einer wohlgeordneten Konzeption gewichen. Der Arbeitsraum wurde zum Ausstellungsraum, in dem Arbeiten aus den vergangenen Jahrzehnten nun in einer bisher einmaligen Schau gezeigt werden. "Hommage e.lin" ist die Ausstellung betitelt, die von Kathrin Lindner kuratiert wurde. Bei der Vernissage am Donnerstag parken vor dem Forum Lin überwiegend Autos mit Münchner Kennzeichen. Etwa 100 Kunstliebhaber, Freunde und Sammler tummeln sich in der riesigen Halle, es ist ein gesellschaftliches Event.

Ein Einbaum-Kanu von Ernst Wiegerling. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Wiegerling, der heuer 80 Jahre alt geworden ist, wird umlagert. Ein charismatischer Mann - braun gebranntes Gesicht, schlohweißes Haar, hellwache Augen - der aber eigentlich lieber im Hintergrund bleibt. "Ich bin ganz schlecht darin, mich als Künstler zu vermarkten", hatte er anlässlich der Verleihung des Kulturehrenbriefs des Landkreises 2019 erklärt. Der Kreis seiner Bewunderer ist inzwischen groß, seine Bekanntheit reicht weit über die Region hinaus.

Ein kopfüber vom Hallendach hängender Truhenwagen mit Strohpferd. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Ausstellung sei ja keine Hommage an ihn persönlich, betont er. Sie würdige sein künstlerisches Alter Ego e.lin. Seit über 40 Jahren arbeitet der gelernte Kirchenmaler und Restaurateur, der inzwischen aus dem Tagesgeschäft seiner benachbarten Restaurierungswerkstätten ausgeschieden ist, als freischaffender Künstler. Den Künstlernamen e.lin hat er einem verrosteten Schild zu verdanken, das er in den 1970er-Jahren an der Isar gefunden hat, und auf dem nur diese Buchstaben zu erkennen waren.

Das Atelier für moderne Kunst in Gaißach: Die Ausstellung wurde zum gesellschaftlichen Event. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Sein zentrales Motiv ist die Verbindung von Kunst und Natur. In seinen oft monumentalen Kompositionen und Eingerichten verwendet er natürliche Materialien - Äste, Steine, Kohle, Kalk, Blätter und vor allem Streubüschel aus dem Moor seiner Heimat Benediktbeuern. Gepresst und mit einer Wiegesäge geschnitten zeigen sich in den Scheiben Wellen, Brüche, Strukturen. In seine Arbeiten streut er oft reine Farbpigmente, die er ohne Bindemittel verarbeitet. In seinen "Bewegungsbildern" nutzt er Naturmaterialien als Werkzeuge: Mit Farbe gefüllte Straußeneier etwa, die er kontrolliert über die Leinwand rollen lässt.

Ein großer Blasebalg hängt von der Dachkonstruktion des Ateliers herab. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Für Wiegerling ist die Schöpfung ein Kunstwerk, das bewahrt werden muss. Indem er natürliche Objekte in einen Rahmen setzt, schärft er den Blick für ihre Schönheit. Seine Arbeiten haben oft einen spirituellen Bezug; Wiegerling wurde überregional vor allem durch die Gestaltung sakraler Räume bekannt.

Und so bietet diese Ausstellung einen Einblick in den faszinierenden Kosmos dieses Künstlers. Auch der Raum selbst wurde mit Licht in Szene gesetzt. Im Zentrum steht das rot ausgeleuchtete "Denkhaus" aus dem Jahr 1997: Ein über eine Treppe zugänglicher Reflexionsraum, in dem man Gedanken notieren und in eine Stele werfen kann, die nie geöffnet wird.

Das rot ausgeleuchtete "Denkhaus". (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die stählerne Dachkonstruktion der Halle ist in blaues Licht getaucht. Vor den großformatigen Anrichte im Vorraum brennen Wachskerzen, wie bei einem Altar.

Brennende Kerzen vermittelten einen sakralen Eindruck im Atelier für moderne Kunst in Gaißach. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Bei der Vernissage wird die außergewöhnliche Atmosphäre durch Musik verstärkt: Der junge Akustikdesigner, Organist und Komponist, Renzo Vitale, hat eigens für die Ausstellung Stücke für Orgel und Geige komponiert: meditative und kraftvolle Musik, in der Töne wie Tropfen perlen. Gespielt auf einer Orgel aus den 1950er-Jahren, die Wiegerling in einer Kirche in Laim entdeckte. Sie sollte ausrangiert werden, er rettete sie und platzierte sie auf der Empore seines Ateliers. Einen zentralen Platz in der Ausstellung nimmt ein aktuelles Werk ein, das eine lange Vorgeschichte hat: Das "Zeit-Projekt". Seit 1982 archiviert Wiegerling die Wochenzeitung "Zeit". Über 2170 Exemplare sind es inzwischen, mehr als eine Tonne Papier. In unregelmäßigen Abschnitten verbrennt er sie. Die Asche, die je nach Brenngrad unterschiedliche Färbungen annimmt, schichtet er in Glaskuben auf. 18 Kuben in drei aufeinander gestellten Reihen, die meisten sind bereits gefüllt. Beige-grau-schwarze, fast wüstenhafte Landschaften sind so entstanden. Zeit-Geschehen, verwandelt durch einen künstlerischen Akt in zeitlose, natürliche Formen? So intellektuell wolle er das gar nicht verstanden wissen, sagt Wiegerling. "Ich sehe, wenn eine Zeitung brennt, dass Asche in unterschiedlichen Farben entsteht." Daraus gestalte er Neues.

Das Objekt "Lebenslauf e-1943". (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Zeit-Projekt sei kein "Kopfbild", sondern spontan entstanden. "Durch das Konservieren überlebt die Zeit auf meine Art und Weise." Jeder der Glaskuben birgt Raum für die Asche aus etwa fünf Jahren. Der Abschluss des Projekts fällt mit Wiegerlings 100. Geburtstag zusammen. "Ich hoffe, dass ich das noch erlebe", sagt er und lacht.

Forum Lin, Erlenstraße 5, Gaißach, Private Führungen werden ab dem 2. Oktober angeboten und können über info@e-lin.de angefragt werden

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