SZ-Adventskalender:Hilfe ist nötiger denn je

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(Foto: imago stock&people)

Die Bedingungen für Frauen, sich aus der Gewaltspirale zu befreien, sind dramatisch schlechter geworden, stellt Nicoline Pfeiffer, die Leiterin des Frauenhauses Wolfratshausen, fest.

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Fangen wir einmal auf der anderen Seite an: Auch für Täter, also für Männer, die Gewalt gegen Frauen oder Kinder ausgeübt haben und dies als behandlungsbedürftiges Problem erkennen, gibt es Hilfen. Diese zielen darauf ab, gewaltfreie Handlungskompetenz zu erlernen, Empathie für die Geschädigten zu entwickeln und individuelle Strategien zur Vermeidung von Rückfällen zu erarbeiten. Ein wichtiges, ja absolut notwendiges Hilfsangebot, wenn man bedenkt, dass es allein in Oberbayern 13 Frauenhäuser gibt - die allesamt fast ständig überbelegt sind. Der Bedarf an Zufluchtsstätten für misshandelte Frauen ist enorm - das lässt Rückschlüsse auf das Gewaltpotenzial der Täter zu.

Den 13 Frauenhäusern steht allerdings gerade einmal eine, eine einzige "Fachstelle Täter*innenarbeit häusliche Gewalt" gegenüber; sie befindet sich in Weilheim und ist zuständig für die Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen, Garmisch-Partenkirchen, Weilheim-Schongau, Landsberg am Lech, Starnberg, Fürstenfeldbruck und Ebersberg - ein Gebiet mit rund 970 000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Vor diesem Hintergrund kann man nur zu gut verstehen, wenn Nicoline Pfeiffer sagt, es mangle eklatant am gesellschaftlichen Bewusstsein für Gewalt gegen Frauen: "Das Ziel der Frauenhäuser war immer, sich überflüssig zu machen. Davon sind wir meilenweit entfernt."

Mariana Schlosser (rechts) organisiert die Kleiderkammer des Frauenhauses. Zusammen mit Nicoline Pfeiffer (links) ist sie im Vorstand des Vereins. (Foto: Felicitas Amler / oh)

Nicoline Pfeiffer ist Sozialpädagogin, seit mehr als 30 Jahren im Wolfratshauser Verein "Frauen helfen Frauen" aktiv und leitend verantwortlich für das Frauenhaus, das im Oktober 1989 eröffnet wurde. Einerseits ist sie mit den Ergebnissen der Arbeit ihres Teams sehr zufrieden. Immer wieder begegneten ihr Frauen, denen das Haus geholfen habe, erzählt sie, und die das nachdrücklich und dankbar bestätigten: "Ich hab's geschafft!" Andererseits muss sie feststellen, dass die Lage zurzeit sehr dramatisch sei: "Wir haben über hundert Prozent Belegung und mussten heuer bereits 72 Anfragen ablehnen." Das Wolfratshauser Haus hat sechs Zimmer und somit theoretisch Platz für sechs Frauen und sieben Kinder. "Meistens ist es voller." Die Jahresstatistik weist für heuer bis einschließlich November 4624 Übernachtungen von Frauen und Kindern aus. Die Aufenthaltsdauer reicht von 14 Tagen bis zu mehr als sechs Monaten.

Ein Viertel aller Frauen erlebt Gewalt vom Partner

Kann ein Frauenhaus eine Hilfesuchende nicht selbst aufnehmen, so springen gewöhnlich andere ein; es gibt dafür eine deutschlandweite Freiplatzsuche. Allerdings sind die meisten Frauenhäuser fast ständig überlastet. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass nach den offiziellen Zahlen des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben jede dritte Frau in Deutschland von sexueller und/oder körperlicher Gewalt bedroht ist; 25 Prozent aller Frauen in ihrer Partnerschaft körperliche und/oder sexuelle Gewalt erleben; zwei von drei Frauen sexuelle Belästigung erfahren.

(Foto: SZ)

Nach Pfeiffers Erfahrung ist es in den vergangenen Jahren für Frauen sogar schwieriger geworden, sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen. Sie nennt dafür mehrere Gründe. Die Vaterrechte, deren Erstarken die Sozialpädagogin im Prinzip begrüßt, unterschieden aber zum Leidwesen der Frauen oft nicht zwischen gewaltfreien und Gewaltbeziehungen. Deswegen bedeute das Umgangsrecht des Vaters für Mutter und Kind nicht selten eine Fortsetzung von Gewalt und Kontrolle.

Zudem erschwere die soziale Entwicklung in Deutschland Frauen den Schritt aus der Gewaltbeziehung. Pfeiffer spricht von einem förmlichen "Zusammenbruch des Sozialsystems". Sie nennt die Stichworte Wohnungsnot, Mangel an Kinderbetreuung und Niedriglohnsektor. "Im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten sind die Löhne deutlich gesunken", sagt sie. Auf eigenen Beinen zu stehen, mit genügend Einkommen, eigener Wohnung und einer ausreichenden Kinderbetreuung scheint da oft aussichtslos.

Oft würden die Frauen, wenn sie sich trennen wollen, von ihren gewalttätigen Männern bedroht: Ich nehme dir das Kind weg. Oder: Ich bringe dich um. Tatsächlich, so Pfeiffer, geschähen die meisten Morde an Frauen und die meisten sogenannten "erweiterten Suizide" in der Trennungsphase.

Die Sozialpädagogin kritisiert, dass Frauen, die Mühe hatten, sich aus der Gewaltspirale zu befreien, oft auch noch Vorwürfe Dritter ertragen müssten: Warum hast du dir das gefallen lassen? Warum schützt du deine Kinder nicht? Immer noch sei es in der gesellschaftlichen Betrachtung Sache der Frauen, die Kinder zu schützen und den Umgang gut geregelt zu bekommen, sagt Pfeiffer. Viel seltener höre man Anschuldigungen gegen gewalttätige Männer.

Dabei wäre es gerade für die Kinder so wichtig, dass Männer zur Verantwortung gezogen werden und selbst bekennen: Was ich getan habe, war falsch. Denn wenn das Trauma, das Kinder erfahren, geleugnet werde, sei es schwer zu heilen.

"Stark ohne Muckis"

"Frauen helfen Frauen" beschäftigt fünf Sozialpädagoginnen, eine Erzieherin und zwei Hausmeisterinnen, die teils auch pädagogische Hilfskräfte sind, sowie eine Verwaltungsangestellte, alle mit jeweils unterschiedlichen Arbeitszeiten. Das Frauenhaus finanziert sich über staatliche Zuschüsse, die Tagessätze im Haus und Sozialhilfe. Dazu kommen Beiträge, Bußgelder und Spenden. Außer der Aufnahme und fachlichen Begleitung von Frauen und Kindern im Frauenhaus leisten die Haupt- und Ehrenamtlichen Beratung am Notruftelefon und in den Büro-Sprechstunden. In diesem Jahr waren es bis einschließlich November 424 Gespräche, wofür es nur eine Halbtagsstelle gibt.

Der Verein bleibt dringend angewiesen auf Spenden, nicht zuletzt, weil im Haus Bauarbeiten anstehen, um einen für den Brandschutz erforderlichen zweiten Fluchtweg zu schaffen. Aber auch für die nach Pfeiffers Worten sehr effektive tiergestützte Pädagogik mit Kindern auf Lama-, Esel- und Ponyhöfen und für ein Seminar "Stark auch ohne Muckis" wird Geld gebraucht.

www.fhf-wolfratshausen.de

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